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Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition)

Titel: Das Knistern in den Sternen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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Urgroßvater für eine gute Stunde aus der Welt. Als er das erste Mal wieder etwas von sich weiß, sitzt er im Hotel Reykjavik, hat fast eine ganze Flasche leer gemacht, Frau und Kind verschwimmen im Nebel, und er denkt an seine alten Saufkumpane.

Wo sich die Ratten zu Hause fühlen
    Einmal waren auch Urgroßvater und Urgroßmutter jung, siebzehn Jahre in einem Fensterrahmen; dann aber vergingen die Jahre, wie sie es immer tun. Urgroßvater verspielt das letzte Hemd, trinkt zwei Monate lang mehr oder weniger am Stück, macht mit anderen Frauen herum, verschwindet eine Woche nach Keflavik, gibt Unmengen Geld aus und stürzt sich inSchulden. Sie verlieren die fünfzig
    Quadratmeter in der Bergstaofastrati, sie verlieren einige der Möbel und stürzen ab in den Keller. Urgroßvater liegt zu Bett, voller Scham, Selbstmitleid und bitterer Vorwürfe. Dann rafft er sich auf, erhebt sich, zuerst auf die Knie, demütig, dann richtet er sich zu voller Größe auf, unangemessen stolz. »In meinen Taschen wächst das Geld«, sagt er wieder. Bürgermeister Pall Einarsson (jawohl, Bürgermeister, große Träume schlummern in diesem gottverlassenen Kaff) zieht den Hut vor ihm. Urgroßvater erwidert die höfliche Geste, er trägt Zylinder und benutzt eine Serviette, wenn er zu Tisch sitzt. Die Schulden gehen zurück, sie schaffen sich zum zweiten Mal Möbel an und bekommen ein zweites Kind, einen Jungen diesmal, der eine halbe Ewigkeit später einmal mein Großvater werden wird. Monate gehen ins Land, Urgroßvater spricht davon, eine Etagenwohnung in Pingholt zu erwerben, und wenn er von der Arbeit nach Hause kommt und seine Familie betrachtet, denkt er: Ein größeres Glück kann es kaum geben. Dann bricht er zum zweiten Mal zusammen.
    Fast ohne Vorankündigung.
    Immerhin denkbar, dass einige Anfälle Urgroßmutter vorgewarnt haben und sie mit so viel banger Ahnung erfüllten, dass sie fast froh ist, als es endlich geschieht; als ein Tag zu Ende geht, ohne dass Urgroßvater nach Hause kommt und sie schließlich erfährt, er sei im Hotel Reykjavik. Da ist das Warten endlich zu Ende. Sie bekommt vormittags Arbeit in einer Wäscherei und geht nach Mittag als Zugehfrau zu reichen Leuten, wo sie zwei bis drei Stunden an neumodischen Wäschemangeln steht – womöglich die gleichen, die Urgroßvater importiert hat. Eine Freundin betreut derweil die Kinder. Gudrún heißt sie, massiert Urgroßmutter den müden Rücken und verwünscht Urgroßvater, dass die Wände wackeln. »Ich begreife nicht, warum du ihn nicht verlässt. Daraus würde dir niemand einen Vorwurf machen«, sagt Gudrun.
    »Ich begreife es selbst nicht«, antwortet Urgroßmutter. Diesmal dauert es gut vier Wochen. Gudfrün füttert gerade die Kinder mit Haferbrei, als ein menschliches Wesen mit schweißverklebtem Haar und von Alkohol aufgedunsenem Gesicht hereinwankt. Großvater fängt an zu weinen, als ihn sein Vater ungeschickt und übel riechend zu küssen versucht, das Mädchen läuft weg. Gudrun schaut Urgroßvater an. Er brummt irgendwas, legt sich ins Bett und liegt da wie ein Haufen schmutziger Wäsche, als Urgroßmutter mit lahmem Rücken und rissigen, roten Händen nach Hause kommt.
    Er liegt im Bett, fährt die Frau mit den rissigen Händen an, blafft auch die Kinder an, sie seien viel zu laut, Teufel noch mal, machten immer solchen Lärm, diese verfluchten Krachschläger.
    »Ja, ja«, sagt Urgroßmutter, »kann schon sein, dass ich hässlich bin und die Kinder laut, aber schlimmer ist, dass wir in den nächsten Tagen aus der Wohnung fliegen.« Das Geld reicht nämlich nicht für die nächste Monatsmiete. Urgroßvater sollte den Vermieter gut genug kennen, um zu wissen, dass dieser ein sturer, unfairer Knochen ist; sie aber ist ihrerseits zu stolz, um sich von Gisli Geld zu leihen. »Wir suchen uns was Billigeres«, sagt sie schlicht, denn solche Dinge machen ihr nichts aus. Er sagt gar nichts, dreht sich zur Wand und schließt die Augen.
    Sie ziehen in eine andere Kellerwohnung, die sich allerdings kaum Wohnung nennen lässt, sondern mit ihren niedrigen Decken und der Feuchtigkeit in den Wänden mehr einem Loch gleicht. Urgroßvater ringt die Hände, doch Urgroßmutter sagt: »Hier sind wir jetzt zu Hause.« Doch das stimmt nicht. Sie wohnen zwar dort, aber ein Zuhause ist dieses dunkle Loch nicht; niemand kann diese Höhle ein Zuhause nennen, düsterer als eine Unterwassergrotte, niemand außer den Ratten. Die sagen Zuhause dazu, und auch die Spinnen, die

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