Das Knochenhaus
Taschengeld als auch mit einem jährlichen Stipendium, von dem er einen ordentlichen Anteil an seine Mutter weiterleitete.
Aus höchst bescheidenen Anfängen als untergeordneter Handlanger hatte sich Archie im Verlaufe seiner Anstellung bei Lord Gower emporgearbeitet. Sprosse für Sprosse war er in der Wertschätzung des Earls weiter nach oben gestiegen, während man ihm immer größeres Vertrauen entgegengebracht und ständig mehr Verantwortung übertragen hatte. Archie nahm der Reihe nach folgende Positionen ein: Mädchen für alles und Laufbursche, Küchenjunge, Pferdeknecht, Hilfsdiener, Diener, zweiter Hilfsbutler, stellvertretender Kammerdiener und so weiter. Schließlich hatte er eine Position erreicht, die auf die eines persönlichen Privatsekretärs hinauslief. Wenn der Earl aufs Land fuhr, ging Archie mit ihm; wenn der Earl auf den Kontinent reiste, war Archie dabei und half, alles zu arrangieren; wenn der Earl und sein Gefolge zu seinem nördlichen Landbesitz aufbrachen, wurde Archie vorausgeschickt, um das Haus und seine Außenanlagen für die Ankunft Seiner Lordschaft vorzubereiten. Und wann immer der Earl nach Windsor bestellt wurde oder das Oberhaus aufsuchte, begleitete Archie ihn.
Die ganze Zeit über lernte der junge Mann die Verhaltensweisen und Gewohnheiten der Elite. Und er wartete auf den rechten Augenblick, um eigene Wege gehen zu können und sein Glück zu machen.
»Ein Mann muss einen Beruf haben«, hatte der Earl ihm schon vor Jahren geraten. »Ich frage mich, welchen du ergreifen wirst?«
»Kann ich nicht in Ihren Diensten bleiben, Sir?«, hatte Archie gefragt. Er war zu jener Zeit zwölf Jahre alt und konnte sich nichts Besseres vorstellen, als den Hausangestellten des Earls anzugehören.
»Solange du möchtest«, antwortete Lord Gower. »Doch ich werde nicht ewig leben, mein lieber Junge. Sosehr ich es auch bedauern mag, wenn ich gehe, werden meine Ländereien und Titel einem Cousin übertragen, den ich seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen habe. Dies ist eine gesetzlich bestimmte Tatsache. Doch ich möchte dich nicht ohne die Fähigkeit zurücklassen, deinen Lebensunterhalt in dieser Welt zu bestreiten. Du kannst nicht für immer ein Diener sein. Du bist aus einem besseren Stoff gemacht.«
»Ich habe kein Interesse, Sie zu verlassen, Sir.«
»Und ich dich auch nicht. Aber das Blut spricht, Archibald.« Der Earl lächelte und legte väterlich eine Hand auf die Schulter des Jungen. »In dir gibt es aristokratisches Blut, und das kann nicht verleugnet werden.«
Der Earl hatte schon vor langer Zeit die Umstände von Archies Geburt herausgefunden und kannte die Herkunft des Jungen. Darüber hinaus war es ihm aufgrund seiner verschiedenen Verbindungen gelungen, eine Art Versöhnung zwischen Lord Ashmole und Gemma Burley in die Wege zu leiten, aus der eine beträchtliche Zahlung für Archies Mutter hervorging. Da Lord Gower zudem ständig an die Zukunft dachte, war er entschlossen, Archie einen Beruf an die Hand zu geben, den er in den kommenden Jahren würde ausüben können. Zu diesem Zweck hatte der Earl entschieden, seinen Schützling die Besonderheiten des aufkeimenden Handels mit Antiquitäten und alten Kunstwerken zu lehren – ein Trend, der die britische Aristokratie im Sturm erobert hatte. Wer sich in diesem Geschäft gut auskannte, hatte die Möglichkeit, gewaltige Geldsummen zu verdienen.
Und Gower beherrschte sein Geschäft. Für einen Mann in der gesellschaftlichen Position des Earls war das Interesse an Antiquitäten nur ein besseres Hobby; er brauchte nicht die reiche Geldernte, die sich für ihn durch den Antiquitätenhandel ergab. Nichtsdestotrotz sah er darin eine wesentliche Lebensgrundlage für einen jungen Mann, vor allem wenn es sich um einen so vielversprechenden wie seinen Schützling handelte. Als sich seine Vormundschaft ihrem Ende zuneigte, hatte Seine Lordschaft keinen Zweifel, dass Archie Burley seinen Weg in der Welt machen würde, und das sicherlich nicht schlecht.
Während sie nun auf das Auktionshaus zugingen, erinnerte Lord Gower seinen Schüler noch einmal daran, was ihn dort erwartete – wie die Auktionen abgehalten würden und wie vor allem das Bieten ablief. Abschließend erklärte er: »Heute werden wir nur zuschauen – doch wenn etwas von Interesse auftaucht, werde ich mich vielleicht ins Getümmel stürzen. Wie dem auch sei, ich will, dass du den Bietern deine Aufmerksamkeit widmest. Wenn die Gebote die Obergrenzen erreichen, kann man am
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