Das Knochenhaus
nachdenklich. »Allerdings muss ich zuerst gewisse Versicherungen erhalten.« Bevor Douglas fragen konnte, worum es sich dabei handelte, erhob sich der Gelehrte und ging zu einer großen Eisenkiste, die in einer Ecke des Raums stand. »Natürlich würde es nicht erlaubt sein, das in den Straßen der Stadt zu verkünden, was ich Euch nun zeigen werde. In diesen schweren Zeiten müssen Gelehrte zu einer strengen Geheimhaltung Zuflucht nehmen, während wir auf die Morgendämmerung eines aufgeklärteren Zeitalters warten.« Er sah über die Schulter und warf seinem Besucher einen erwartungsvollen Blick zu.
Plötzlich wurde klar, was der Gelehrte meinte.
»Ich bin glücklich, sagen zu können, dass ich Euch alles liefern kann, welche Versicherungen Ihr auch immer für angemessen haltet – materieller oder anderer Art«, bot Douglas an. »Ich weiß, wie leicht bestimmte Aspekte Eurer Arbeit von einem ungebildeten und undankbaren Publikum missdeutet werden können.«
»Leider ist es nicht nur das Publikum«, sinnierte Roger Bacon, »dem es so oft misslingt, die Natur unserer heikleren Untersuchungen zu würdigen – bei vielen unserer führenden Kirchenmänner mangelt es ganz besonders an den feineren Fähigkeiten des Urteilsvermögens. Geleitet von dem unheilvollen Zwillingspaar Intoleranz und Ignoranz verdammen sie zu oft das, was sie billigerweise hätten ehren sollen. Sie verleumden das, was verteidigt werden sollte. Sie verurteilen das, was gepriesen werden sollte.«
Douglas wusste, dass der berühmte Gelehrte aus leidvoller persönlicher Erfahrung sprach, denn er hatte wegen einiger seiner gewagteren Ideen kirchliche Verfolgung erduldet. »Nehmt bitte meinen feierlichsten und heiligsten Schwur entgegen, dass die Geheimnisse, die in diesem Raum mitgeteilt werden, auch danach geheim bleiben werden.«
Der Wissenschaftler lächelte. »Ich wusste, dass Ihr ein Gefährte auf derselben Pilgerreise wie ich seid.« Er beugte seine hagere Gestalt über die Eisenkiste, zog aus einer Falte seines Gewandes einen Schlüssel hervor und schloss das Scharnier auf. Dann öffnete er den Deckel und zog ein Bündel angeschnittenes Pergament heraus, das mit einem roten Band verschnürt war. »Kommt, wir wollen am Feuer sitzen, wo das Licht besser ist. Wir werden es gemeinsam laut lesen.«
Er führte seinen Gast zu einem breiten Herdboden, wo ein Kohlenfeuer glühte.
»Der wertvollste Bestandteil wissenschaftlicher Ausrüstung, der bislang erfunden worden ist«, erklärte Bacon und zeigte auf seinen Sessel, der neben dem Feuer stand. Es gab noch einen weiteren – also jeweils einen auf jeder Seite des hell leuchtenden Herdbodens. »Sie wurden nach meinem eigenen Entwurf hergestellt«, betonte der Gelehrte. »Bitte setzt Euch. Ihr werdet herausfinden, es ist äußerst förderlich für geistige Aktivitäten jeglicher Art.«
Douglas ließ sich auf etwas nieder, das einem niedrigen Thron gleichkam: Er besaß eine gerade Rückenlehne, breite Armstützen und dicke Polster, die mit Schaffell bedeckt waren; die Sitzfläche war in einem geringen Winkel geneigt. Wie Douglas erfreut feststellte, war der Sessel ausgesprochen bequem. Es sollte sich herausstellen, dass dies auch unbedingt notwendig war, denn sie würden den größten Teil der nächsten drei Stunden in gelehrte Erörterungen vertieft sein. Deren Gegenstand war der Inhalt eines Werkes, das Roger Bacon das Buch der verbotenen Geheimnisse nannte.
»Die Identität des Autors ist versteckt unter einem Schleier vorsätzlich erzeugter Verdunkelung: Ich denke, wir stimmen darin überein, dass der Name ›Bruder Luciferus‹, also ›Lichtträger‹, ein allzu offensichtliches Pseudonym ist. Nichtsdestotrotz leuchtet aus dem Buch mit unmissverständlicher Klarheit der Scharfsinn eines brillanten Intellekts hervor. Die Vision, die dieses einmalige Dokument erschaffen hat, ist ebenso einzigartig wie revolutionär.«
»Und deshalb bereitwillig von denen falsch verstanden und zensiert worden, die – wollen wir sagen – eine abträglichere Meinung haben«, merkte Douglas an.
Bacon nickte vielsagend. »Daher die ungeschliffene Bezeichnung Buch der verbotenen Geheimnisse , die, wie ich vermute, ein koketter Hinweis auf ein anderes sehr einflussreiches Werk ist: Das Geheimnis der Geheimnisse . Auf jeden Fall wünschte der Autor, dass sein Buch unzensiert blieb, und wählte die von mir entwickelte Schrift, um sein Werk zu schützen.« Er legte seine langfingrige Hand auf das
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