Das Knochenhaus
ist, werde ich dorthin zurückgehen und erneut versuchen, ihn zu finden.« Sie wandte sich zum Gehen um. »Aber jetzt bringe ich Euch erst einmal das Laudanum und etwas Wasser. Ihr solltet Euch ausruhen.«
Er nickte. In dem Moment, als sie aus dem Zimmer ging, rief er ihr leise hinterher: »Ich danke Euch, Miss Wilhelmina.«
»Ihr seid noch nicht aus dem Schneider, also dankt mir jetzt noch nicht. Ihr werdet nicht vollständig in Sicherheit sein, solange Ihr nicht weit weg von hier seid. Wir werden Euch so weit wiederherstellen müssen, dass Ihr reisen könnt.«
»Wohin werde ich gehen?«
»Nach Hause.«
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ZWEIUNDDREISSIGSTES KAPITEL
I ch habe niemals vorgehabt, sie zu verraten«, beharrte Lady Haven Fayth. »Glaubt mir, ich bitte Euch.«
Wilhelmina betrachtete sie voller Zweifel. Es gab vieles, was man an der jungen Frau bewundern konnte – ihre erstaunliche Schönheit, ihren raschen und klaren Verstand, ihre Respekt einflößende Willensstärke. Doch es gab auch vieles, was bei der Dame mit den rostbraunen Haaren förmlich dazu einlud, ihr mit Misstrauen zu begegnen.
Als Mina auf diese vertrauliche Bemerkung nicht reagierte, fuhr Lady Fayth fort: »Wir waren in einer verzweifelten Situation – nein, in einer noch schlimmeren. Der arme Cosimo und mein teurer Onkel Henry waren bereits tot – es gab nichts, was man für sie noch tun konnte –, und wir anderen starben langsam vor Durst. Als der Schwarze Earl sich dazu herabließ, uns zu sehen, überbrachte er bei seiner Ankunft ein Angebot zu überleben. Habt Erbarmen, dass ich unverzüglich die Chance ergriff, damit es sich nicht als Hirngespinst erweisen würde.« Sie drückte Wilhelminas Hand mit großem Ernst und wollte sie unbedingt dazu bringen, ihre Worte als wahr zu akzeptieren. »Es gab keine Zeit für Erklärungen; ich war gezwungen, sofort zu handeln.« Sie runzelte die Stirn, während sie sich dieses schrecklichen Tages entsann. »Kit und Giles waren keine Hilfe – beide waren voller beleidigtem Draufgängertum und beherrscht von einem Bewusstsein der Ehre, das sie zum Untergang verurteilte. Sie waren überhaupt keine Hilfe.«
»Das zumindest glaube ich Euch gern«, räumte Wilhelmina ein. »Aber warum hat Burleigh Euch ausgewählt? Warum Euch und nicht Kit?«
»Ich war für ihn eine flüchtige Bekannte«, erwiderte Haven und fuhr anschließend fort, indem sie erzählte, wie sie vorher schon dem Earl begegnet war, als er gekommen war, um auf Clarivaux nach Sir Henry zu suchen. »Es ergab sich, dass mein Vater ihn zum Abendessen einlud, und so habe ich mit ihm gespeist.« Sie hielt inne und schaute Mina mit flehendem Gesichtsausdruck an. »Im Nachhinein, wenn man alles ganz deutlich sieht, ist mir klar, dass er sich bemühte, meinen Onkel in seine schändlichen Pläne hineinzuziehen; aber damals gab es keinerlei Hinweise darauf. Ganz im Gegenteil sogar.«
»Burleigh ist also in Ägypten aufgekreuzt und hat Euch ein Angebot unterbreitet, das Ihr nicht abschlagen konntet – ist es so?«
»Aber Ihr seht das doch auch so, nicht wahr?«, entgegnete Lady Fayth, als ob Hartnäckigkeit alleine überzeugen könnte. »Es ergab einfach keinen Sinn, dass wir alle in jenem Grabmal sterben sollten. Ich erkannte, dass ich – indem ich am Leben bleiben würde – eventuell zurückkehren könnte, um die anderen zu retten. Das – ich versichere es Euch von ganzem Herzen – war meine einzige Hoffnung und meine sehnlichste Absicht.«
»Ihr meint, zurückzukommen und sie zu befreien?«, sagte Wilhelmina voller Skepsis.
Sie saßen im Großen Kaiserlichen Kaffeehaus an einem Tisch im hinteren Bereich des Hauses und tranken Kaffee. Es war früher Nachmittag, die träge Zeit des Tages; die Kellnerinnen bedienten die wenigen Kunden, und Etzel machte oben ein Nickerchen.
»Ich hatte die Absicht, zum Grabmal zurückzukehren, sobald ich den schurkischen Klauen des Schwarzen Earls würde entschlüpfen können.«
»Warum habt Ihr das dann nicht gemacht? Warum habt Ihr so lange gewartet?«
»Burleighs Männer«, beeilte sich Haven zu antworten. »Einen Tag nachdem wir das Grab verlassen hatten, kamen die gedungenen Schläger seiner Lordschaft in Karnak an mit der Meldung, die beiden jungen Männer seien gestorben. Die mysteriöse Krankheit im verlassenen Grabmal habe ihren schrecklichen Tribut gefordert, erzählten sie. Ich war am Boden zerstört ... und natürlich untröstlich.«
»Natürlich.«
»Selbstverständlich hatte ich von nichts anderem gewusst,
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