Das Knochenhaus
bis ich vor nicht einmal zwei Abenden Kit in genau diesem Kaffeehaus sitzen sah.« Sie schaute über den Tisch hinweg Wilhelmina an; ihr Blick war angemessen reuevoll und offen. »Darüber hinaus kann ich Euch verbürgen, dass Lord Burleigh ebenfalls nichts anderes wusste, bis er von seinen Tagelöhnern über Kits und Giles’ Anwesenheit hier in Kenntnis gesetzt wurde.«
Wilhelmina dachte über diese Äußerungen nach. Alles klang plausibel und passte zu dem meisten, was sie bereits wusste. Sie war geneigt, Lady Fayth abzunehmen – wie eigennützig ihr Verhalten auch gewesen sein mochte –, dass sie die Wahrheit erzählte, zumindest insoweit es Kit und Giles betraf. Was ihre Verstrickung mit Burleigh anbelangte, so hegte Mina immer noch Zweifel an der Aufrichtigkeit der jungen Frau.
»Der Schwarze Earl war nicht gerade erfreut über seine Lakaien«, fuhr Haven fort. »Unter Heulen und Zähneknirschen wurden sie der äußeren Finsternis übergeben – wo sie so lange bleiben müssen, bis sie sich aus Sicht Seiner Lordschaft reinwaschen können.«
»Dann nehme ich an, dass wir Euch alle großen Dank schulden, Mylady«, erlaubte sich Wilhelmina zu sagen.
»Bitte nicht doch«, widersprach Haven. »Wir haben Kit verloren, und der arme Giles ist verwundet – das ist kaum ein Ergebnis, das des Lobes oder einer Anerkennung wert ist.«
»Es hätte noch viel, viel schlimmer kommen können«, räumte Wilhelmina ein. »Dank Eurer rechtzeitigen Warnung waren sie in der Lage davonzukommen. Übrigens ... was war das eigentlich für ein Päckchen, das Ihr Kit gegeben habt, bevor er aus dem Kaffeehaus geflohen ist?«
»Päckchen?«
»Diese kleine Paket ...« Mina beschrieb mit ihren Fingern ein kleines Quadrat. »Was war das?«
»Das war ein Buch.«
»Ein Buch? Das war alles?«
»Oh, nicht bloß irgendein Buch, wohlgemerkt«, antwortete Haven und senkte danach ihre Stimme. »Es handelte sich um das grüne Buch – beziehungsweise Onkel Henrys persönliches Tagebuch, in dem er seine Untersuchungen über das Ley-Springen notiert hat.«
»Mit dem Ley-Springen meint Ihr ...«
Haven nickte. »Ich glaube, Ihr wisst nur allzu genau, was ich meine.«
»Wirklich?«
»Etwa nicht?«
»Nun ja.«
»Ich wusste es!« Lady Fayth nahm einen Schluck Kaffee und fuhr mit ihrem Geständnis fort. »Der Schwarze Earl weiß von dem grünen Buch. Er hat es sogar gelesen ...« Sie erlaubte sich, ein listiges Lächeln zu zeigen. »Das heißt, er hat die Teile gelesen, die ich ihm zu lesen erlaubt habe. Bei gewissen Seiten aus Sir Henrys Buch hielt ich es für das Beste, sie für mich zu behalten.« Sie trank ihren Kaffee aus und schob ihre Tasse beiseite. »Habt Ihr irgendeine Ahnung, wohin Kit gegangen ist?«
»Über den Fluss«, antwortete Mina ausweichend. »Jedenfalls ist es das, was sie sagen. Zweifellos wird er wieder auftauchen, sobald Burleigh fort ist.«
»Nun ja, wir müssen hoffen und beten, dass er außer Sichtweite bleibt. Ich nehme nicht an, dass der Schwarze Earl es zulassen wird, dass er ihm ein drittes Mal entkommt.«
»Die Flucht muss ein richtiges Schauspiel gewesen sein. Was wird Burleigh nun unternehmen?«
»Seine Suche nach der Karte fortsetzen«, antwortete Haven. »Was sonst kann er machen? Es ist klar, dass weder Cosimo noch Onkel Henry die Karte besessen haben; sie ist also nicht an Kit weitergegeben worden. Und somit bleibt es auch, dass Cosimos Teil von der Karte noch gefunden werden muss.« Die junge Frau stand auf und strich mit den Händen vorne über ihr Kleid. »Ich muss gehen. Seine Lordschaft wird sich fragen, was aus mir geworden ist.« Sie lächelte nett. »Danke schön für den Kaffee und für Euer Vertrauen. Das Wissen, dass ich eine heimliche Verbündete in diesem Kampf habe – und es ist, wohlgemerkt, ein äußerst verzweifelter Kampf –, erneuert meine Zuversicht und meinen Mut.« Sie nahm Wilhelminas Hand. »Darf ich Euch als meine Freundin betrachten?«
Wilhelmina war verblüfft über diese Frage. »Natürlich.«
»Gut. Mir gefällt das. Ich habe weder einen anderen Freund noch eine andere Freundin, der ich mich anvertrauen kann«, enthüllte sie. Dann fügte sie hinzu, wobei sie immer noch Wilhelminas Hand festhielt: »Die Last der Suche liegt nun auf unseren Schultern. Es fällt uns zu, sie bis zum Ende durchzuziehen – im Guten wie im Bösen.«
Lady Fayth verabschiedete sich, und Wilhelmina sah ihr hinterher, wie sie zur Tür des Kaffeehauses ging.
»Im Guten wie im Bösen«,
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