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Das Knochenhaus

Das Knochenhaus

Titel: Das Knochenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Lawhead
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heraus. Auf dem glatten weißen Papier stand: Kit – wenn Du das hier liest, hast Du Dr. Thomas Young getroffen: Er ist der letzte Mann auf der Welt, der alles weiß. Vertraue ihm – mit Deinem Leben. Stets die Deine, Mina. Und das war schon alles.
    In der Zwischenzeit hatte Thomas die Münze aufgenommen. Nun hielt er sie zwischen Daumen und Zeigefinger und drehte sie immer wieder um. Auf seinem Gesicht zeigte sich dabei ein Ausdruck der Fassungslosigkeit, der, wie Kit annahm, höchst ungewöhnlich für diesen Mann war. Den Shilling überreichte er schließlich Kit, der ihn weiter untersuchen sollte. Die Silbermünze zeigte auf der einen Seite das Konterfei von Victoria und auf der anderen eine Krone, unter der in einfachen Wörtern one shilling stand. Unter dem vom Körper abgetrennten Kopf von Victoria war das Datum: 1835.
    »Haben Sie jemals dergleichen gesehen?«, fragte Thomas.
    »Ja, habe ich«, antwortete Kit und gab ihm den Shilling zurück. »Schon viele Male.«
    Der Engländer nickte bloß und legte die Münze neben den Brief. Als Nächstes nahm er den Zeitungsausschnitt an sich, schaute darauf und blickte dann Kit an. »Sind Sie jemals in Kew Gardens gewesen?«, erkundigte er sich.
    »Ein-oder zweimal«, erwiderte Kit. »Es ist ein bekannter Ausflugsort. Die Leute gehen dahin, um zu picknicken und um draußen einen angenehmen Tag zu verbringen.«
    Der Arzt legte den Ausschnitt beiseite und drückte seine Hände flach auf die bedruckten, aus einem Buch herausgerissenen Seiten. »Das wird, wie ich glaube, der endgültige Beweis sein.«
    Kit wusste nicht, was er darauf entgegnen sollte, und schwieg daher.
    »Wenn ich mich nicht sehr irre, hat unsere gemeinsame Freundin mir unwiderlegbare Beweisstücke dafür geliefert, dass ihre Behauptung – so haarsträubend sie auch zu sein scheint – tatsächlich die nackte Wahrheit ist.«
    Kit ergriff die losen Blätter und überflog rasch das oberste, und zwar beide Seiten. Es war nur die Titelseite, die scheinbar – der gezackten Kante nach zu urteilen – hastig aus dem Buchrücken herausgerissen worden war. Auf der Rückseite stand ein Teil der Danksagung des Autors. »Sie möchten, dass ich dies hier lese?«
    »Bitte«, antwortete Thomas Young, der seine Brille abnahm und die Augen schloss.
    Kit räusperte sich und begann, laut vorzulesen. »Eine Vortragsreihe über Naturphilosophie und die mechanischen Wissenschaften, von Thomas Young, Dr. med. Eine neue Ausgabe mit Quellenangaben und Anmerkungen von Rev. P. Kelland, M. A., Mitglied der Königlichen Gesellschaft. London und Edinburgh. Druck: Taylor und Walton, Upper Gower Street. 1845.«
    Kit blickte zu seinem Zuhörer auf. Thomas saß nur sehr still da und hielt die Augen weiterhin geschlossen. Kit legte die Seite weg und fuhr mit dem Lesen fort. »Nachdem ich mich verpflichtet hatte, eine Vortragsreihe über Naturphilosophie zu erstellen, die im Vortragssaal der königlichen Institution gehalten werden sollte, kam mir der Gedanke, dass das Vorhaben der Institution etwas mehr verlangte als die bloße Zusammenstellung der augenblicklich existierenden elementaren Arbeiten und dass es meine Pflicht war, in einem System alles zu ordnen, das in einem Bezug zu den Prinzipien der mechanischen Wissenschaften steht und das zum Fortschritt der Wissenschaften beitragen könnte, die den Annehmlichkeiten des Lebens dienstbar sind.«
    Er hielt inne, um Luft zu holen, und wartete. Einen Moment später nickte Thomas, und Kit nahm die Lektüre wieder auf.
    »Außerdem fand ich, während ich die Vorträge hielt, dass es höchst berechtigt war, alles, was über jedes Thema gesagt werden musste, so getreu wie möglich dem Papier anzuvertrauen, und dass selbst wenn ein Experiment durchgeführt werden musste, es am besten war, dieses Experiment kontinuierlich zu beschreiben und die Erklärung während der Darstellung zu wiederholen. Infolgedessen wurde es notwendig, dass auch die geschriebenen Vorträge so deutlich und umfassend formuliert sowie in einer solchen Sprache, die weitestgehend auf das Verständnisvermögen einer gemischten Zuhörerschaft abgestimmt ist, ausgedrückt sein sollten, wie es die Natur der Untersuchungen erlauben würde –«
    Kit brach die Lektüre ab, weil der Arzt plötzlich laut aufstöhnte. Danach saß Thomas Young still wie eine Sphinx da, weiterhin mit geschlossenen Augen, und wirkte äußerlich gelassen. Das einzige Anzeichen dafür, dass er einen inneren Kampf austrug, konnte man an seinen Händen

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