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Das Koenigreich der Luefte

Das Koenigreich der Luefte

Titel: Das Koenigreich der Luefte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Hunt
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pure Reinheit zu schlüpfen. Und seine Träume – sie waren zusammengedrängte Einschläge von Bildern geworden, verdichtete Erinnerungen vergangener Leben. Hunderte von Leben, alle anders und doch alle gleich.
    Der Prediger beobachtete Oliver, wie er die Seemannspistole an die Seite seines Rucksacks schnürte und bot ihm mit einer Handbewegung Einhalt. »Es ist an der Zeit, dass du das Päckchen aufmachst, das ich dir gegeben habe.«
    »Ihr Zirklistisches Gebotsbuch liegt hier drüben.«
    »Nein, nicht das Gebotsbuch«, sagte der Reverend. »Dafür habe ich immer noch Verwendung.«
    Oliver wickelte das Kästchen aus der verblichenen alten Decke und öffnete den Doppelverschluss. Als er den Deckel aufklappte, legte sich ein silbernes Glühen über seine Hände, denn das Licht des Mondes fiel auf seinen Inhalt, und es war beinahe, als ob eine alchemistische Reaktion stattfand. Innen lagen zwei identische, mit Silber belegte Pistolen mit Elfenbeingriff. Jeder Zoll war mit Bildern verziert, die Adlerschwingen und Duelle zeigten, sich bekriegende Regimenter oder die Silhouetten von Tiermenschen. Ins Elfenbein eines jeden Griffs war ein Löwe eingeritzt, der vertraut wirkte und dem Wappentier von Jackals ähnelte. Es war allerdings eine primitivere Gestalt, roh und mit wütend aufgerissenem Maul, die nicht in der eleganten Haltung abgebildet war wie der Löwe auf dem Wappen.
    »Das waren Ihre?«, fragte Oliver.
    »Man könnte sagen, dass sie eine Art Familienerbstück sind.«
    Im Deckel des Kästchens befand sich ein Doppelhalfter aus schlichtem, schwarzem Lackleder von der Art, wie man es über die Schulter geschlungen unter einem Mantel versteckt tragen konnte.
    »Aber dann sollten Sie es Ihren Kindern hinterlassen«, protestierte Oliver. »Das ist echtes Silberblatt auf dem Metall. Sie müssen so viel wert sein wie die gefüllte Schatzkammer eines Rechenkontors.«
    »Vor langer Zeit hoffte ich, meine älteste Tochter würde sich für sie interessieren. Aber wie sich dann herausstellte, irrte ich mich«, sagte der Reverend.
    Oliver deutete auf die alte Waffe mit dem glockenförmigen Lauf von Loade & Locke. »Mit so etwas kann ich gerade mal eben grob treffen. Das hier sind sicherlich Duellpistolen, die für einen Scharfschützen oder einen Regimentsoffizier gemacht wurden.«
    »Nimm sie einmal in die Hand«, sagte der Prediger.
    Oliver hob sie aus dem Kästchen – die Waffen fühlten sich warm an, angenehm, als seien sie Teil seines Arms. Wieso hatte er überhaupt je darüber nachgedacht, dieses Geschenk zurückzuweisen? Sie waren perfekt.
    »Es ist seltsam«, sagte Oliver, »ich –«
    »Der Trick dabei ist«, sagte der Prediger, »zu wissen, wann man sie in die Hand nehmen und wann man sie wieder weglegen muss.«
    Olivers Hände bebten, als er die Waffen wieder in das Kästchen tat; sie zitterten auf eine Art, wie Oliver es bei den Fährleuten gesehen hatte, die ein Durst in die Tavernen von Hundred Locks trieb, den nur billiger Jinn löschen konnte. Er würde das Geschenk nun nicht mehr ablehnen. Wie dumm die Tochter des Predigers gewesen war.
    »Ich lege sie nieder«, sagte der Prediger mit Nachdruck.
    »Ich werde die Seemannspistole nicht mehr brauchen«, überlegte Oliver laut.
    »Nein«, bestätigte der Reverend. »Aber das Messer solltest du behalten.«
    »Ich erinnere mich nicht, Ihnen gesagt zu haben –«
    »Das brauchtest du auch nicht«, sagte der Reverend. »Es ist ein gutes Messer. Eines von der Art, wie ich es vor vielen Jahren selbst gern besessen hätte.«
    Oliver sah aus dem Fenster. Der Ruf der Nacht war stärker als je zuvor. »Vielen Dank für alles.«
    »Junge, mit deinem wilden Blut könntest du der Beste von uns allen werden.«
    »Ich sollte das Messer in meinen Stiefel stecken.«
    »Das würde ich auch tun.« Der Prediger nickte.
    Im unteren Geschoss verblasste der Zauberbann, den Harry in die Luft geworfen hatte. Also war es doch keine Zeitverschwendung gewesen, den alten Ziegenbock zu belauschen. Was beabsichtigte der Reverend? Er plante irgendwelches Unheil, davon war der Wolfschnapper überzeugt. Bisher hatte der Prediger seinen Teil ihrer Abmachung eingehalten, hatte sich in den Ruhestand zurückgezogen und war in der Bergarbeiterstadt niemandem in die Quere gekommen. Da Harry selbst so viele Geheimnisse bewahrte, hasste er den Gedanken, dass der alte Narr etwas gegen ihn in der Hand haben könnte. So wollte er das große Spiel nicht spielen – wenn in Jackals betrogen wurde, dann war

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