Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman
ging nicht anders.
Amelia sah auf. Der Assistent von Quests Team brachte wieder ein Ries übersetzter Papiere. So musste es sein, wenn man zum Mitglied der Hohen Tafel ernannt worden war und eine Armee von Schreibern und Untergraduierten jede Bewegung, die man tat, beobachtete – und die langweiligen Arbeiten übernahm, das Abschreiben und Übersetzen und Recherchieren und Nachschlagen in staubigen Folianten, die sie zu Hause nur nach beantragter Erlaubnis und tagelanger Wartezeit überhaupt hätte einsehen dürfen. Sie dankte dem Jungen und bemerkte, dass er, als er eintrat, jemanden mitgebracht hatte – Kommodore Black.
»Jared.« Sie sah auf die Reiseuhr, die auf einer Ecke ihres Arbeitstisches stand. »Ist es wirklich schon so spät?«
»Für uns ist es Zeit zu gehen, Mädel. Wir sind fast schon über Jackals’ Grenzen hinaus und beinahe über der Tintensee.«
»So viele Tage sind vergangen?« Sie war derart in ihre Arbeit vertieft gewesen, dass sie kaum hätte sagen können, ob es außerhalb des Luftschiffs gerade Tag oder Nacht war.
Die catosische Wachsoldatin ließ einen weiteren Mitarbeiter Quests herein, und der Junge umklammerte ein Bündel Kabel, als wollte er einen Blumenstrauß auf den Schreibtisch der Professorin legen. »Wir haben den Fehler im Kristallbuchleser gefunden und repariert. Es war ei –«
Amelia schickte ihn mit einer Handbewegung weg. »Danke. Ich komme in einer halben Stunde hinunter in den Leseraum.«
»Du könntest immer noch mit uns kommen«, sagte der Kommodore. »Du könntest binnen einer Stunde wieder auf der herrlichen, festen Erde von Jackals stehen.«
Etwas Drängendes lag in den Worten des Kommodore, etwas, das ihr seltsam unangebracht erschien. Amelia fiel es zwar auf, aber sie schrieb es ihrer überreizten Fantasie zu, die ihr inzwischen Streiche spielte. Wie lange hatte sie nun schon gearbeitet? Zwischendurch hatte sie immer einmal wieder für ein Stündchen an ihrem Schreibtisch geschlafen. Es gab so viel zu tun, so
viel musste geklärt und gelesen und ihrem Gehirn eingetrichtert werden. Wenn die Weltensänger doch nur die Möglichkeit besessen hätten, ihrem Kopf ebenso übernatürliche Kräfte zu verleihen wie ihren Armen!
»Mein Platz ist hier, Jared. Die eigentliche Expedition beginnt jetzt erst.«
»Ich habe mein wunderschönes Boot zurückgelassen«, sagte der Kommodore. »Bitte lass nicht zu, dass ich mich auch von dir trennen muss.«
»Ich werde dich wiedersehen, alter Seebär. Unter ganz anderen Umständen. Das Parlament wird Quest begnadigen, sobald man dort mitbekommt, was wir oben in Camlantis entdeckt haben werden. Glaubst du, das Haus der Hüter würde es riskieren, dass einer der Stadtstaaten des Catosischen Bunds in den Besitz der Geheimnisse von Camlantis kommt? Catosia ist Jackals heute schon in vielen Bereichen der Wissenschaft einen Schritt voraus. Das Haus wird die Tatsache, dass Quest ihnen seine Versuchsluftschiffe gestohlen hat, als kleinen Streich eines kindlichen Genies abtun und ihm für seine Leistungen einen Titel anbieten, du wirst schon sehen. Du warst es doch, der mir einst gesagt hat, der Erfolg hätte viele Väter …«
»… während das Scheitern ein Waisenkind ist«, wiederholte der Kommodore. »Meine eigenen kreuzverdammten Worte, jetzt suchen sie mich heim. Dennoch, Mädel, du solltest mit uns kommen.«
»Ich könnte dir dasselbe vorschlagen«, sagte Amelia. »Du bist mit mir den Shedarkshe hinaufgefahren, um
auf die bloßen Ruinen des camlantischen Beckens zu blicken – jetzt sind wir nur einen oder zwei Tage von der größten archäologischen Entdeckung unserer Zeit entfernt, von der emporgeschleuderten Stadt selbst. Willst du das nicht miterleben?«
»Ich bin nur wegen meines Bootes mit dir gefahren, Mädel, und es liegt jetzt auf dem Grund des Ataa-Naa-Nyongmo. Natürlich kam ich auch mit, um dafür zu sorgen, dass dir nichts geschieht, aber ich werde nun nicht mehr weiterreisen. Du würdest mich zum zweifach Ausgestoßenen machen, und der alte Blacky braucht seine verbliebenen Annehmlichkeiten, kein neuerliches Leben auf der Flucht. Die Weltensänger können mein Gesicht nicht endlos neu modellieren, sonst vergesse ich irgendwann, wer ich bin und weshalb ich überhaupt weglaufe.«
»Dann müssen wir uns nun verabschieden«, sagte Amelia.
»Ja, das müssen wir wohl. Ich werde T’ricola und Eisenflanke deine Grüße übermitteln.«
»Sei vorsichtig, Jared. Eisenflanke mag behaupten, dass er bereits
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