Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman
letzten wahren König gefangengenommen, geknebelt und ihm die Arme amputiert hatte, damit er nie wieder die Hand gegen sein Volk würde erheben können.
Cornelius setzte sich, während Dred ein Vergrößerungsglas über seiner Maske befestigte und die hautfarbenen Guttapercha-Schichten von Cornelius’ künstlichem Arm zu lösen begann.
»Das Parlament musste wirklich die letzten Winkel durchkämmen, um Königin Charlotte aufzustöbern«, sagte der Mechomaniker, »nachdem sie festgestellt hatten, dass das Gemeinwesen die meisten Insassen der königlichen Aufzuchtstätten während der Invasion durch den Gideonskragen geschickt hatte.«
Cornelius zuckte zusammen, aber das lag nicht an dem Schmerz in seiner Schulter.
»Entschuldige, ich vergaß. Aber die Middlesteel Illustrated behauptet in ihren Kolumnen immer noch, dass in den Adern der Königin ebenso viel königliches Blut fließt wie in deinem Badewasser. Gerüchteweise wurde sie in einem Versorgungszug der abrückenden quatérshiftischen Armee entdeckt; einer der Shifter-Offiziere hatte sie wohl aus den Aufzuchtstätten mitgenommen und sie am Leben erhalten, weil sie ein hübsches kleines
Ding war. Das war wohl auch so, als sie noch Arme hatte.«
»Das Haus der Hüter braucht ein Symbol«, sagte Cornelius.
»Aha.« Der Mechomaniker entfernte mittels einer schmalen Pinzette eine Bleikugel und zog danach eine zweite aus Cornelius’ Arm. »Wo wir gerade von deinen Landsleuten aus Quatérshift reden – ich gehe einmal davon aus, dass diese zwei bleiernen Übeltäter jenseits der Grenze gegossen wurden?«
»Gut möglich, dass ich dort kürzlich vorbeigeflogen bin.«
Dred gab ein missbilligendes Geräusch von sich. »Dein Arm ist kostbar, Cornelius – mein Können, kombiniert mit dem Hochspannungsräderwerk aus dem Catosischen Bund. Mir wäre es lieb, wenn du ihn nicht einfach so wegwerfen würdest. Eines Tages wird das Erste Komitee hinter diese Tricks mit den falschen Gesichtern kommen. Dann werden ihre Pamphletschreiber den führenden Carlisten nicht mehr mit den Fotos einer Kastenkamera schmeicheln, sondern dich dazu bringen, dass du die Komiteemitglieder nach Gilroys Karikaturen im Illustrated imitierst. Ihre Spione werden hier keine Emigranten mehr fangen wollen, sondern versuchen, den Plan für eine funktionierende Blutcode-Maschine zu stehlen.«
»Kannst du meinen Arm reparieren?«, fragte Cornelius.
»Natürlich kann ich das. Weißt du, du hast mir nie
erzählt, wie du das mit deinem Gesicht eigentlich machst – hast du diese Hexenkunst von einem Weltensänger gelernt? Bist du als Kind in den Irrnebel geraten? Bist du nach Süden gereist, um zu einem Mutterschoßmagier zu gehen? Es gibt Hinterzimmerzauberer, die ein Gesicht einmalig ändern können, aber es heißt, dass man den Schmerz sein Leben lang fühlt …«
»Ich fühle den Schmerz«, sagte Cornelius. »Der Unterschied ist, dass ich ihn gern teile.«
Dred zog einen dampfbetriebenen Spulenwickler heran und begann, die Spannung des Räderwerks im Arm zu lösen – mit großer Vorsicht, denn auch nach all den Jahren fürchtete er immer noch eine neuerliche Explosion. »Die Gemeinwohlvertretung wird eines Tages fallen, das weißt du. Vielleicht, weil du ihren Sturz vorantreibst, aber höchstwahrscheinlich einfach deswegen, weil sie ihr eigenes Volk nicht ernähren kann. Oder vielleicht hat der Gottkaiser von Kikkosico eines Tages auch genug von ihren Beleidigungen, umgeht den Fluchwall, setzt seine Legionen an ihren Ufern an Land und macht Quatérshift ein für alle Mal dem Erdboden gleich. Was willst du dann tun, alter Freund?«
»Mich zurückziehen.«
Dred Lands baute einen Teil des Armmechanismus aus und legte ihn auf die Werkbank. »Na schön, du musst es mir ja nicht sagen. Ich werde dich trotzdem für deinen nächsten Selbstmordversuch wieder zusammenflicken.«
»Du solltest viel mehr zu schätzen wissen, was ich hier
tue«, sagte Cornelius. »Ich habe vor ein paar Nächten sogar einen von deiner Sorte aus Quatérshift herausgeholt. Jules Robur, den Mechomaniker. Er hätte kein weiteres Jahr in den ›organisierten Gemeinschaften‹ der Gemeinwohlvertretung überstanden.«
Dreds Hand ließ beinahe den Seitenschneider fallen, den er leicht gedreht angesetzt hatte. »Beim Zirkel, du hast Jules Robur aus Quatérshift geholt? Ich dachte, er sei längst tot. Seine Entwürfe, seine technischen Konstruktionen … Er ist der Größte unserer Zunft, Cornelius, der Größte! Bist du
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