Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman

Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman

Titel: Das Koenigreich jenseits der Wellen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Hunt
Vom Netzwerk:
beschloss, dass es am einfachsten war, wenn er seinem Mitreisenden einen Hinweis darauf gab, wie er einzuschätzen war. »Ich muss einmal ein Wörtchen mit meinem Vetter darüber reden, denn offenbar lädt er niemals nach Dolorous Hall ein.«
    »Mir war aufgefallen, dass die Fenster auf Ihrer Insel dunkel sind, aber das ist doch keine Schande. Es gibt ohnehin viel zu viel frivole Vergnügungen in Middlesteel.« Der Mann hob einen Arztkoffer, der hinter seinem Sitz gelegen hatte. »Und als Mediziner habe ich oft mit den Auswirkungen dessen zu tun, was der maßlose Genuss geistiger Getränke im Körper anrichtet. Jinn ist, würde ich sagen, der Fluch unseres Volkes.«
    »Ah, ein Doktor.« Und noch dazu ein Temperenzler.
    »Nicht für Zweibeiner allerdings«, erklärte der Passagier. »Obwohl ich in diesem ehrenvollen Beruf einmal angefangen habe. Nein, jetzt praktiziere ich an Tieren. Ich bin Tierarzt. Mir ist aufgefallen, dass jene, die keinen Mangel leiden, sich oft mehr um ihre Haustiere kümmern als um die eigenen Familienmitglieder. Tatsächlich komme ich gerade von Hermia Durrington – vielleicht kennen Sie die gute Dame?«
    Cornelius schüttelte den Kopf.
    »Ihr Rabe ist krank, und sie war sehr in Sorge. Aber ich habe ein Stärkungsmittel verschrieben und bin guten Mutes, dass der Vogel bald wieder seine früheren Kräfte …«

    Cornelius hörte den Rest der Fahrt höflich zu, während der Tierdoktor ihm jedes Wehwehchen der Hunde, Katzen, Vögel und anderer Tierchen beschrieb, die man im Hause der Hochwohlgeborenen Middlesteels fand. Selbst als er schon aussteigen und den Arzt allein im Boot zurücklassen wollte, schien jener kaum bemerkt zu haben, dass er gar nichts über seinen Mitreisenden erfahren hatte, und dass das Stöhnen des Ruderers nicht nur auf die Kraftanstrengung zurückzuführen war, die ihm die starke Strömung des Gambleflowers abverlangte.
    »Ich sollte Ihnen für diese Fahrt Ermäßigung geben, Meister«, flüsterte der Fährmann, als er anlegte, um Cornelius an einer dunklen Treppe, die man in die Uferböschung gemauert hatte, hinauszulassen.
    Cornelius gab ihm das doppelte Beförderungsgeld. »Ich gebe Ihnen lieber noch ein Trinkgeld für den Rest der Fahrt.«
    Während er dem Boot nachsah, das in der Dunkelheit des Flusses verschwand, verwandelte sich Cornelius’ Gesicht in Ströme flüssigen Fleisches, faltete und formte sich zu einer genauen Kopie der Züge des Tierarztes.
    »Ihr Rabe ist krank und sie ist sehr in Sorge«, kicherte Cornelius. Er versuchte es in einer anderen Tonlage, tiefer, bis er genauso klang wie der Tierdoktor zuvor.
    Jeder Passant hätte nur einen Tierarzt gesehen, der zu Fuß nach Middlesteel ging, während das Mietboot seinen verbliebenen Fahrgast – vermutlich einen gewissen Cornelius Fortune – auf den Gambleflowers hinausfuhr.
Wie es seine Gewohnheit war, hatte Cornelius Fortune das Gesicht des Mannes angenommen, den er aufsuchen wollte. Im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen, die in den Genuss seiner Besuche kamen, würde Dred Lands – der Inhaber der Alten Mechomaniker-Werkstatt am Knocking Yard – nicht besonders schockiert sein, wenn ihm jemand begegnete, der sein eigenes Gesicht trug, denn immerhin hatte Dred Lands in diesen Zeiten selbst kaum Verwendung dafür.
    Die Außentür des Ladens war aus billigem Holz gefertigt und mit einem Haken gesichert, den jeder Aufbieger mit einem Kitzler schnell hätte hochschieben können. Dafür wurde es im Flur dahinter sicherheitstechnisch erst wirklich spannend.
    Zwei Eisentüren, die sich auch vor einem Banktresor gut gemacht hätten, versperrten Cornelius den Weg, und eine alte, aber äußerst funktionstüchtige Blutmaschine schob sich aus der Wand. Cornelius drückte seinen Daumen auf die Nadel, eine Blutsträne sickerte in das dünne Röhrchen, dann ratterten und klickten die Walzen der angeschlossenen Berechnungsmaschine. Selbst Cornelius konnte den Lebenssaft eines anderen Menschen nicht so genau nachahmen, als dass er eine dieser Maschinen hätte überlisten können, aber Betrug war hier ohnehin nicht vonnöten. Nicht, wenn es vor allem seine finanziellen Mittel waren, die einen der wenigen Menschen in Middlesteel, der noch zurückgezogener lebte als er selbst, in Lohn und Brot hielten.
    Auf der anderen Seite der Türen wartete ein Dampfmann.
Nicht eines jener unglaublichen Wesen aus lebendem Metall aus dem Freistaat der Dampfmänner, sondern ein tumber Automat – kaum mehr als ein eiserner

Weitere Kostenlose Bücher