Das Königshaus der Monster
ein paar Pillen geschluckt, Henry. Ich habe eine ganze Menge Pillen geschluckt.«
»Um Gottes willen – warum?«
»Weil ich sie berührt habe.«
»Wen?«
»Nur ein einziges Mal! Das muss ich unbedingt klarstellen. Ich habe sie nur ein einziges Mal berührt. Aber ich musste es einfach tun. Das verstehen Sie doch? Welcher Mann könnte widerstehen?«
»Wen? Wen haben Sie berührt?«
»Die Göttin, Henry. Die neue Estella. Sie war so vollkommen. Sie war glatt zwischen den Beinen.« Pfeifend stieß er die Luft aus. »Können Sie mir vergeben, Henry? Ich muss unbedingt Ihre Vergebung erlangen, Henry!«
»Ich glaube nicht, dass das jetzt noch von Belang ist«, antwortete ich und verfolgte, wie sich schwarze Schneeflocken, zu faustgroßen Klumpen geballt, in Kamikazeangriffen auf die Windschutzscheibe des Taxis stürzten.
»Es ist alles vorbei. Das riesige Ungeheuer kommt.« Mister Jasper (»Richard Price«) hüstelte – ein dünnes Raspeln, das rasch zu etwas entsetzlich Sprudelndem, Gurgelndem anwuchs. »Haben Sie den Schnee gesehen?«
»Natürlich.«
»Wissen Sie, was das ist?«
»Ich … nein, das weiß ich nicht.«
»Das ist Ampersand, Henry. Ampersand, das vom Himmel fällt.«
Noch ein ratterndes Husten, und die Verbindung brach ab.
Der Schnee fiel noch dichter und noch schwerer als zuvor und ergoss sich ohne Unterlass, ohne Gnade, wie Tränen auf die Stadt.
VIERUNDZWANZIG
Drei Tage, länger brauchte London nicht, um sich ins Chaos zu stürzen. Aber die Stadt ergab sich ihm willig, nur allzu bereit, ihre alten, soliden Freier – sanft gärende Ruhe und misslaunige Ordnung – gegen den neuen Bewunderer einzutauschen, gegen diesen Meister der Panik, der Anarchie und der Angst.
Wir kamen spät am Nachmittag in Tooting Bec an. Etliche Male war der Fahrer dicht davor gewesen, uns aus seinem Wagen zu werfen. Er wollte das Weite suchen, erklärte er, wollte raus aus der verdammten Stadt, bevor es zur Katastrophe kam. Nur indem wir bei einem weiteren Geldautomaten anhielten, wo ich alles abhob, was noch auf meinem Konto war, konnte ich ihn überhaupt dazu bringen, uns bis nach Hause zu fahren.
Auf dem langen Weg dorthin wurde es mit Mama immer schlimmer; entweder regte sie sich über längst vergangene Fehler und Fehltritte auf oder sie weinte tüchtig über das, was sich in diesem Schnee verbarg. Als ich sie endlich in der Wohnung hatte, litt sie schon fast unter Wahnvorstellungen. Abbey, die, wie ich mit einem Aufwallen liebevoller Zuneigung bemerkte, hart an sich hielt, um ihre eigene Unruhe und beginnende Panik im Zaum zu halten, musste mir helfen, Mama in mein Bett zu bringen. Mit einem unschicklichen Schwung beförderte sie Mamas Beine auf die Matratze, zog ihr den Großteil der Kleider vom Leib, und dann deckten wir sie zu und taten unser Bestes, damit sie sich wohlfühlte.
Ganz sicher war es nicht richtig von mir, zu einem solchen Zeitpunkt an derartige Dinge zu denken, aber mir fiel plötzlich mit einem angenehm kribbelnden Schauer ein, dass ich angesichts dieses unerwarteten Hausgastes keine andere Wahl haben würde, als mit Abbey das nächtliche Lager zu teilen.
Ich brachte Mama ein Glas Wasser, überredete sie dazu, einen Schluck zu trinken, und als sie schließlich wieder bei halbwegs klarem Verstand war, machte ich sie förmlich mit Abbey bekannt.
»Ihr zwei seid ein Gespann?«, fragte sie, während ich ihr die Spucke aus den Mundwinkeln wischte. »Ich dachte immer, du wärst schwul.« Ein Gurgeln, und wieder lief ihr Speichelschaum aus den Mundwinkeln. »Hab dich nie mit einem Mädchen gesehen. Hielt dich für ’nen Warmen.«
»Was ist da draußen los?«, fragte Abbey, als ich ins Wohnzimmer zurückkam; verängstigt schmiegten wir uns auf dem Sofa aneinander – um ehrlich zu sein, ein bisschen zu fest. »Henry! Was geht da draußen vor?«
»Das Schlimmste, was du dir vorstellen kannst«, antwortete ich, »geht da draußen vor. Das absolut Schlimmste, was du dir vorstellen kannst.«
»Nein!«, fuhr sie mich an. »Diese Geheimnistuerei steht mir bis hier! Ich will genau wissen, was sich da abspielt! Ich will, dass du mir die Wahrheit sagst!«
Also nahm ich sie in die Arme und erzählte ihr, so zartfühlend ich konnte, all das, was sich seit dem Tag, an dem Großvater zusammengebrochen war, zugetragen hatte – auch meine Erlebnisse mit den Präfekten und alles, was ich über den schwarzen Schnee wusste. Nachdem ich geendet hatte, nickte sie nur, dankte mir für meine
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