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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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mir einen heißen Becher in die Hand, und ich bedankte mich. Sie trug ein weites T-Shirt, das ihr um etliche Nummern zu groß war, und ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich mich fragte, ob sie wohl darunter etwas anhatte.
    Sie setzte sich im Schneidersitz auf den Boden. »Henry? Sag mal …« Verlegen hielt sie inne. »Fällt dir irgendwas an mir auf?«
    »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    »Ist etwas anders an mir?«
    Hocherfreut über die Gelegenheit, Abbeys Gesicht eingehend zu betrachten, ohne bei ihr den Verdacht zu erregen, dass ich sie anglotzte, musterte ich es ungestört ein, zwei Minuten lang. »Nein«, sagte ich schließlich. »Sollte sich etwas verändert haben?«
    Sie tippte sich an einen Nasenflügel, und da endlich sah ich, was sie meinte: ein goldenes Aufblitzen, ein kleines, diskretes Knöllchen, wie eine kostspielige Aknepustel. Mein erster Gedanke war, dass sie es getan hatte, um jemandem zu imponieren – irgendeinem großmäuligen Frauenschwarm in der Anwaltskanzlei, einem muskelbepackten Herzensbrecher am Gericht.
    »Gefällt’s dir?«
    Viel zu müde und zu ehrlich, um zu lügen, sagte ich: »Ohne gefällst du mir besser.«
    »Oh.« Es klang enttäuscht. »Ich dachte, du würdest es mögen.«
    »Aber du hast so eine wunderhübsche Nase, dass ich es für eine Schande halte, den Anblick zu stören.«
    Noch während ich sprach, merkte ich, wie ich rot wurde.
    »Wirklich?«, fragte sie umgehend. »Habe ich wirklich eine hübsche Nase?«
    Ich wollte gerade irgendeine Antwort hervorstottern, als Rettung nahte: Das Telefon begann zu klingeln. Beim Griff nach dem Hörer warf ich einen raschen Blick auf Abbey und sah, dass sie über die Unterbrechung fast genauso dankbar war wie ich.
    »Hallo?«
    »Spreche ich mit Mister Henry Lamb?« Die Stimme – ein wenig altersbrüchig – kam mir bekannt vor.
    »Allerdings.«
    »Ich rufe im Auftrag der Firma Gadarene-Glas an. Wären Sie vielleicht an der Anschaffung neuer Fenster interessiert?«
    »Haben Sie nicht schon einmal angerufen?«
    »Doch, ja.«
    »Die Antwort ist immer noch ›nein‹!«, zischte ich. »Und ich glaube mich zu erinnern, dass ich Sie ersucht habe, uns nicht mehr zu belästigen!«
    Klick. Das Hornissensummen des Amtszeichens.
    Abbey verdrehte die Augen, als ich auflegte. »Keine Ahnung, wie sie auf diese Nummer kommen!«
    Ich gähnte. »Jetzt werde ich mal zu Bett gehen.«
    »Schlaf gut. Aber, Henry …?«
    »Ja?«
    »Wenn du jemanden zum Reden brauchst …«
    »Natürlich, danke.«
    Sie lächelte. Als ich mich zum Gehen wandte, sah ich noch, wie sie den Finger an den linken Nasenflügel legte und das Kügelchen betastete – mit einem Mal entzückend unsicher und befangen. Ich warf ihr noch einen verstohlenen Seitenblick zu und spürte, wie etwas bisher nicht Gekanntes, etwas Sonderbares, aber Wundervolles in meiner Brust zu flattern begann.
    Hätte ich in diesem Moment gewusst, was alles noch kommen würde, hätte ich die Gefühle im Keim erstickt und das Flattern in meiner Brust augenblicklich abgewürgt.

FÜNF
     
    Am nächsten Tag entschloss ich mich, zu Großvaters Haus zu fahren. Niemand aus der Familie (und auch niemand aus Großvaters Schönwettergefolge) war aufgetaucht, um seinen Beistand anzubieten, und so verspürte ich als einziger Verwandter, der sich je dazu bekannt hatte, den Mann zu mögen, den hartnäckigen Druck alleiniger Verantwortung.
    Der Tag verstrich in nebelhafter Routine – Hickey-Browns müde Scherze, Mittagessen mit Barbara, ein kurzer Gang mit ihr in den Postraum, ein anzüglicher Blick von Philip Statham, eine Ewigkeit des Herumtrödelns am Computer, wo ich auf den Bildschirm starrte und darauf wartete, dass es siebzehn Uhr wurde. Als es so weit war, strampelte ich zur London Bridge, zwängte mein Rad in den Zug und fuhr nach Dulwich – Temple Drive 17, um genau zu sein, wo mein Großvater schon vor meiner Geburt wohnte.
    Ich schob mein Rad eine Straße hoch, bog in die seine ein und fuhr vorbei an Reihen von Platanen und an Schildern, die potenzielle Übeltäter hysterisch darauf hinwiesen, dass hier die Bürger nachbarschaftliche Wachsamkeit an den Tag legten.
    Es war eine Zeitreise für mich – ein Wurmloch in meine Kindheit.
    Großvater lebte in einem kleinen, verwohnten Reihenhaus – Bücher waren in die Spalten zwischen den Fensterflügeln geklemmt, und vertrocknetes Unkraut ringelte sich ums Gartentürchen, an dem eine handgeschriebene Warnung hing: Keine Hausierer.
    Ich sperrte auf und

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