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Das Königshaus der Monster

Titel: Das Königshaus der Monster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Barnes
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nach meinem Ausscheiden aus dem Dienst entdeckte.« Und dann kam die Frage, deren Beantwortung über vermintes Territorium führte: »Was halten Sie davon?«
    »Sehr bemerkenswert«, sagte ich möglichst taktvoll. »So viel Schwarz. So viele Tentakel.«
    Sie nickte. »Ich habe das Gefühl, ich kann mich meinem Objekt nur in Einzelteilen nähern.«
    »Ist es eine Art Allegorie? Etwas Modernes, Kompliziertes?«
    »Ganz im Gegenteil, Henry. Dies ist ein Abbild der Wirklichkeit.«
    Bevor ich noch weiterfragen konnte, trapste etwas Kleines, Graues und Wohlbekanntes in das Studio, sah mich an und miaute.
    »Hallo, du«, sagte ich und empfand ein absurdes Gefühl der Enttäuschung, als ich keine Antwort bekam. Ich spitzte die Lippen und versuchte mich an diesem hohen, lockenden Kussgeräusch, das anscheinend jeder von sich geben muss, der ein Kätzchen erblickt. Worauf der Kater brav herbeitrottete und mir gestattete, ihn unter dem Kinn zu kitzeln.
    »Er erkennt Sie wieder«, stellte Miss Morning fest.
    Ich nickte und muss zugeben, dass sich meine Stimmung dadurch ein ganz klein wenig hob. »Es ist wirklich erstaunlich, dass er zu Ihnen gefunden hat«, bemerkte ich.
    »Sie wissen doch, was er ist, oder?«
    Ich kraulte dem Tier nun das Bauchfell, und es krümmte und wand sich schnurrend und mit sichtlichem Vergnügen. »Was meinen Sie damit?«
    »Der Kater ist der Vertreter Ihres schlafenden Großvaters in der wachen Welt. Er ist der Vertraute des alten Mannes.«
    Meine Hand zuckte zurück, als hätte mir die Berührung des Tieres einen elektrischen Schlag versetzt.
    »Gibt es etwas, das Sie mir sagen wollten?«, erkundigte sich Miss Morning liebenswürdig. »Sie klangen so aufgeregt am Telefon.«
    Mit einem misstrauischen Blick auf den Kater senkte ich die Stimme zu einem halblauten Flüstern. »Sind Sie der Meinung, dass es ungefährlich ist, hier offen zu reden?«
    »Ich suche dieses Haus zweimal täglich nach Wanzen ab. Wir sind hier so sicher wie Dedlock auf dem Riesenrad. Wahrscheinlich noch sicherer.«
    Ich holte tief Luft, bevor ich die Neuigkeit hervorsprudelte: »Das Direktorium will den Präfekten erlauben, uns zu Estella zu führen. Und das wird bald geschehen.«
    Die alte Dame blickte mich ernst an und murmelte: »Alter schützt vor Torheit nicht. Wär’s doch nur Torheit – der Alte ist ein ausgemachter Trottel! Aber warum kommen Sie damit zu mir?«
    »Ich muss wissen, was es mit dieser Estella auf sich hat.«
    Miss Morning trippelte zu einem gigantischen Hauer und lehnte sich dagegen, während sie ein langes, rasselndes Seufzen ausstieß. »Setzen Sie sich lieber hin«, sagte sie schließlich.
    Ich ließ mich auf einem winzigen Holzstuhl nieder, der aussah, als hätte sie ihn aus einem Kindergarten mitgehen lassen.
    »Ihr Großvater liebte Estella«, begann Miss Morning. »Er liebte sie über alles. Er war der einzige Mann, der sie um ihrer selbst willen liebte und nicht wegen ihrer umwerfenden Figur. Und trotzdem ließ er zu, was mit ihr geschah.«
    Ich rutschte unbehaglich auf dem kleinen Stuhl herum.
    »Ende der Sechzigerjahre waren wir dabei, den Krieg zu verlieren. In den Malvern-Bergen war gerade eine ganze Division bei Feldmanövern ausgelöscht worden. Wir standen kurz vor Leviathans Eintreffen und hatten keine Möglichkeit, ihm Einhalt zu gebieten. Ihr Großvater wurde von Tag zu Tag verzweifelter. Er fing an, auch die extremsten Lösungen in Betracht zu ziehen. Selbst diese … Entgegen allen Warnungen und wider besseres Wissen ließ er am 4. April 1967 die Präfekten rufen und erzählte ihnen alles. Bat sie um Hilfe. Sie überlegten eine Weile – Hawker kratzte sich am Kopf, Boon schleckte ein Zitroneneis –, und dann sagten sie ihm, wie die Bestie aufzuhalten war. Alles, was sie dafür wollten, das Einzige, was sie verlangten, war … Nun, ich bin sicher, die beiden hatten nichts Eiligeres zu tun, als Ihnen das zu verraten, Henry.«
    Es drehte mir den Magen um beim Gedanken an die letzten, entsetzlichen Momente meines Vaters, als er auf der harten Böschung einer Autobahn sterbend nach Luft schnappte.
    »Im Gegenzug sagten sie Ihrem Großvater alles über das Programm.«
    »Das Programm?«
    »Haben Sie den Ausdruck schon gehört?«
    »Von den Präfekten, ja. Und in Großvaters Tagebuch stand auch etwas davon. Warum? Was soll das sein?«
    »Das Programm vereinigt allerhöchste Wissenschaft und primitive Magie. Es verbiegt die Zeit und komprimiert die Materie.«
    »Ich habe keine Ahnung, wovon

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