Das Königshaus der Monster
blätterte und kurze Schlucke aus seiner Wasserflasche nahm. Er tippte auf seine Armbanduhr.
»Zwei Minuten!«, sagte ich. »Ich muss nur kurz ins Badezimmer.«
Als ich mich abwandte, hörte ich schon, wie Abbey ihr Bestes versuchte, um ihn abzulenken. »Wie nett, mal einen Kollegen von Henry kennenzulernen! Was ich immer schon gern wissen wollte … Sagen Sie, was tun Sie in Ihrem Beruf eigentlich …?«
Ich betätigte die Spülung und hockte mich neben das Klo – teils, um damit den Klang meiner Stimme zu übertönen, teils um irgendwelche Abhörgeräte, falls sie denn vorhanden waren, zu überlisten. Und in diesem Augenblick fiel mir gar nicht auf, mit welcher Selbstverständlichkeit ich nunmehr derartige Vorsichtsmaßnahmen ergriff. Ich holte mein Handy heraus und wählte eine Nummer; es klingelte wohl ein Dutzend Mal, ehe abgehoben wurde.
»Henry hier«, zischte ich. »Tut mir leid, wenn ich Sie wecken musste.«
Miss Morning klang jetzt älter, so als hätte sie zehn Jahre zugelegt, seit ich sie vor Kurzem verlassen hatte. »Ich habe nicht geschlafen, Mister Lamb. Ich hatte nur zu viel Angst vor dem Abheben.«
»Die Präfekten werden schon heute Nacht verlegt.«
Keine Antwort.
»Miss Morning, ich sagte, sie werden schon heute Nacht verlegt!«
Ein schwerer Seufzer. »Dann nehme ich an, Sie haben Ihr Testament gemacht. Und alle Ihre Angelegenheiten in Ordnung gebracht. Ich hoffe, Sie machen sich auf das Ärgste gefasst.«
Natürlich hat er nie mit ihr geschlafen. Als Bürgen für die Wahrheit ist es unsere Pflicht, dies ein für alle Mal klarzustellen. Selbstverständlich hätte er es gern getan, aber wir können Ihnen versichern, dass er sie nicht einmal mit dem kleinen Finger berührt hat. Tatsache ist hingegen, dass dieser jämmerliche Mensch – falls in den nächsten Tagen nicht noch etwas Außerordentliches geschieht – als männliche Jungfrau in den Tod geht.
Etwa zu der Zeit, als Mister Jasper auf Henrys Schwelle stand, erwachte der englische Thronfolger mit teuflischen Kopfschmerzen, dem unbändigen Drang, Harn zu lassen, und einem gewaltigen Hunger, der sich in seine Seele fraß.
Er hatte keine Ahnung, wie er ins Bett gekommen war, keine Erinnerung daran, wie er über den Korridor getaumelt war, sich die Kleider vom Leib geschält hatte und schließlich auf der Matratze gelandet war – eigentlich hatte er überhaupt keine Erinnerung im Anschluss an seinen Tee mit Mister Streater im alten Ballsaal.
Streater. Wenn es etwas gab, dessen sich der Prinz völlig sicher war, dann das: Er musste diesen Mann wiedersehen! Nur Streater würde ihn verstehen! Nur Streater konnte diese Welt wieder erträglich machen! Nur Streater vermochte ihn von diesem brennenden Verlangen zu befreien, das dunkle Sehnen zu erleichtern, die krankhafte Begierde zu stillen.
In seinen Gliedmaßen kribbelte und prickelte es wie von tausend Nadelstichen, als der Prinz sich aus dem Bett schwang und den Morgenmantel überwarf. Jedes Geräusch erschien ihm zu laut, jedes Licht qualvoll hell. Er benutzte das Telefon auf seinem Nachttisch, um zwei Anrufe zu tätigen – den ersten an Mister Silverman, den zweiten an seine Gattin. Beide waren, wie er zu hören bekam, nicht zu sprechen. Schließlich musste er einen Hilfsdiener namens Peter Thorogood wecken, um ihm die einzige Frage zu stellen, die ihm noch wichtig war:
»Wo ist Mister Streater?«
Obwohl Peter Thorogood den Eindruck hatte, dass der Prinz irgendwie weggetreten schien, gab er höflich vor, nichts davon zu bemerken, und wies ihm den Weg zu jener Räumlichkeit, die Mister Streater sich bei seinem Einzug in Clarence House angeeignet hatte.
Doch sobald der Prinz außer Sichtweite war – Arthur hatte sich eine Begleitung strikt verbeten –, rief Peter Thorogood seinen Vorgesetzten an, einen Butler namens Gilbert Copplestone, und informierte ihn, dass ihr Herr und Meister ein merkwürdig exzentrisches Verhalten an den Tag legte, dass seine Sprechweise undeutlich und seine Gangart schwankend wirkten. Copplestone übermittelte diese Beobachtungen dem Vorstand des prinzlichen Haushaltes, einem Mister Hamish Turberville, der sodann den Sekretär des Kronprinzen, Galloway Pratt, anrief; dieser wiederum setzte sich mit Kingsley Stratton, seinem Kontaktmann im königlichen Palast, in Verbindung, welcher mit seiner Geliebten Audrey Clow, einer Hofdame der Königin, sprach. Und vier Stunden später erfuhr die Königin selbst vom merkwürdigen Benehmen ihres
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