Das Königsmal
alle Verwirrung und alles Durcheinander des Krieges hinter sich gelassen? War jede schreckliche Gefahr gebannt? Sein Blick fiel auf das Ecce homo, das Bild des leidenden Christus hatte seinen Platz an der Tür seines Kabinetts gefunden. Es war der Platz seiner Morgenandacht und des Abendgebets. Eine stete Mahnung, die jeden Glücksschauer Christians mit dem gebrochenen Blick des Gottessohnes niederringen wollte. Manchmal lähmte ihn der ernste Blick des Gottessohns. Dann stiegen die Erinnerungen an die Toten empor, an seine Schuld. Doch inzwischen war er Herr seiner Bilder, die Musik half ihm und das Glück, das er erfahren hatte.
„Lass mir also meine Liebe“, flüsterte Christian und zeigte mit der Rechten drohend auf das Bild. „Und wenn du mir alles andere nehmen musst.“
Dann kehrte er zu seinen Briefen zurück. In diesem Moment fühlte er sich sicher auf Rosenborg. Alle Pracht des Schlosses stemmte sich gegen die Vergänglichkeit des Lebens und stärkte sei- nen Glauben an die Zukunft. Todesangst, Zweifel und Selbsthass waren verflogen wie der Brandgeruch des Krieges.
Als es wenig später leise an der Tür klopfte, lächelte er.
„Komm herein.“
Es war Wiebke, die vor ihm stand. Leuchtend, schön und noch immer fassungslos vor Glück. Vor dem dunklen Hintergrund des Treppenhauses schimmerte ihr honigfarbenes Kleid wie Gold. Es war weit geschnitten, trotzdem zeichneten sich unter dem Stoff die Rundungen ihres fruchtbaren Leibes ab. In der köstlichen Höhle ihres Engelskörpers wuchs sein Kind heran.
Sie musste sich anstrengen, die Stufen zu erklimmen. Ihr Körper trug die Last ihrer Liebe mit Stolz, dennoch fiel ihr das Treppensteigen jetzt, so wenige Wochen vor der Geburt, schwer. Wiebke lehnte sich für einen Moment an das Treppengeländer und atmete aus. Sie roch an dem blühenden Apfelzweig, den sie für Christian geschnitten hatte. In den Orangerien von Schloss Rosenborg blühten die Obstbäume in ihren Kübeln vor der Zeit. Ein Spalier weißbetupfter Kunstwerke. Sie hatte nicht widerstehen können und den Gärtner gebeten, ihr einen Schnitt zu erlauben.
„Ein Geschenk für den König“, hatte sie gesagt. Doch gedacht etwas anderes: ein Geschenk für meine Liebe, für mein Glück.
Jetzt stand sie hier, in seinem geheimen Treppenhaus, auf dem Weg in Christians Studierzimmer und konnte noch immer nicht fassen, wie sich ihr Leben verändert hatte. Mein Weg gleicht diesem Aufstieg, dachte sie, und ihr Blick folgte den steilen Stufen der Wendeltreppe hinauf. Es war ein gewundener, mühsamer Gang, der jeden Besucher schwer atmen ließ. Und an seinem Ende das Licht. Die Tür, die sich ihr geöffnet und sie in einem Moment göttlicher Unachtsamkeit eingelassen hatte in den schönsten, entrücktesten Zaubergarten, das Elysium ihrer Liebe.
Seine Majestät König Christian und Wiebke Kruse – ist je ein Mädchen, ein Bauernmädchen, höher emporgestiegen, fragte sie sich erstaunt. Heftig atmend stemmte sie sich gegen ihr Gewicht und stieg weiter hinauf, dem Apfelduft nach, der ihr vorausgeeilt war und den dunklen Treppenturm fröhlich bezwungen hatte.
Was für ein ungeheuerliches Ereignis, gerade als sie sich mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, den König verloren zu haben. Als sie an die Zufälligkeit ihrer Begegnung geglaubt hatte und an die Maßlosigkeit ihrer geheimsten Gedanken.
War sie denn vertrieben worden aus ihrer Welt? Nach dem schrecklichen Streit zwischen dem König und der Gräfin hatte Ellen Marsvin die beiden Zofen in ihr Gesinde aufgenommen. Die Gutsherrin hatte sie beinahe wie Töchter behandelt. Ihre Tage waren angefüllt gewesen mit der Sorge um die Kinder und den zahlreichen Beschäftigungen auf dem Gutshof, in denen Ellen Marsvin sie unterwies. Die Inspektoren und Pächter der Güter mussten empfangen, Gärtner, Waldhüter, Knechte und Mägde angeleitet werden. Außerdem galt es, die Kornspeicher, Milchkeller und Viehställe zu überprüfen. Ellen Marsvin delegierte Geldgeschäfte und Zahlungen an die Krone, der Viehhandel zwang sie zu vielen Reisen. Ihre Energie, ihr Durchsetzungsvermögen und ihr außergewöhnlicher Sinn für Geschäfte ließen sie nicht ruhen. Sie war bekannt für ihre Zuverlässigkeit, ihr Wort galt vielen Kaufleuten und Viehhändlern mehr als jede Anzahlung in Gold. Umso weniger hatte sie ihrer Tochter verzeihen können, die ihr Eheversprechen so schändlich gebrochen und die Liebe des Königs verraten hatte.
„Er hat sie an seine Seite genommen
Weitere Kostenlose Bücher