Das Königsmal
und zugleich von anderem träumend. Manches Mal meinte sie, die Wärme Christians zu spüren, die das weiche Leder des Stuhls auszustrahlen schien und ungestüm Besitz von ihr nahm.
Dort sah sie auch, dass der König und Ellen Marsvin in Verbindung standen. Sie wechselten Briefe, in denen sich Geschäftliches und Persönliches vermischte. Die Kinder waren ein Thema, natürlich. Seine Majestät sorgte sich um ihre Ausbildung, weshalb er Lehrer auf das Gut geschickt hatte, und erkundigte sich nach ihren Fortschritten und ihrem Wohlergehen. Die Gutsherrin wiederum schilderte dem König das Leben auf Dalum, den Alltag ihrer Enkelkinder und deren Sehnsucht nach dem Vater. Manchmal blieben die Briefe auf dem Schreibtisch der Gutsherrin liegen, und Wiebke konnte nicht widerstehen, sehnsüchtig das Papier zu berühren.
Immer wieder hatte Ellen Marsvin den König in ihren Briefen eingeladen, sie doch zu besuchen, „dass sich Seine Majestät ein Bild mache von der fruchtbaren Sorge und Liebe, welche die Kinder umgibt.“ Doch es dauerte fast ein Jahr, bis die Verhältnisse es zugelassen und Christian sich stark genug gefühlt hatte, an den Ort zurückzukehren, der für das Scheitern so vieler Hoffnungen stand.
„Der König kommt mit seinem Gefolge“, verkündete Ellen Marsvin im Frühjahr lächelnd, nachdem sie einen Brief mit dem auffälligen königlichen Siegel geöffnet hatte. „Schon bald, wir müssen uns vorbereiten.“
Und, nachdem sie Wiebke, die geschwiegen und nicht gewusst hatte, was sie antworten sollte, nachdenklich betrachtet hatte, setzte sie tröstend hinzu: „Keine Angst, Wiebke. Sein Groll gegen dich wird sich wohl gelegt haben. Du trägst keine Schuld an dem Unglück. In meinen Briefen habe ich nur in den wärmsten Tönen von dir gesprochen und Seiner Majestät geschildert, dass dich niemand in deiner Sorge um die Kinder ersetzen könnte. Der König wird dich nicht wieder tadeln.“
Trotzdem wusste Wiebke nicht, wie sie dem König begegnen sollte. In den wenigen Wochen, die bis zu seiner Ankunft blieben, malte sie sich das Wiedersehen aus: ein tiefer Knicks, ein Kuss auf seine beringte Hand, die nach Leder und Pferd roch, ein suchender Blick in seine Augen. Manches Mal lächelte Christian und zog sie an seine Seite. „Meine kleine Wäscherin“, würde er sagen, und sie könnten an Vergangenes anknüpfen. Doch sie sah auch Bilder, in denen er an ihr vorüberschritt, ohne sie zu beachten. Kein Blick, kein Wort, keine Innigkeit. Dann wurde ihr übel, und sie musste die Tränen unterdrücken. „Nur die Liebe tut weh wie die Liebe“, meinte sie in jenen Augenblicken die Stimme ihrer Mutter zu hören.
Und doch endete alles so glücklich – zwischen den Hecken auf Gut Dalum. Der König war früher als erwartet angereist. Sie hatte noch in der Küche die letzten Anweisungen für das abendliche Festmahl gegeben und den Fisch geprüft, der gerade geliefert worden war. Geräucherte, golden glänzende Makrelen und Kabeljau, der im Salzmantel gebacken werden sollte.
Sie hörte den Trubel der Ankunft, die ausgelassenen Kinder, die durchs Haus liefen und ihre Freude herausschrien. Aber mit der umgebundenen Küchenschürze, dem Fischgeruch an den Händen wollte sie ihn nicht begrüßen. Später dann hatte sich der König bereits mit Ellen Marsvin zurückgezogen, und sie war in der Halle nur der Leibwache und dem sie freundlich grüßenden Buchwald begegnet.
Am Nachmittag war sie im Garten beschäftigt. Sie schnitt einige Blüten für den Abend, die ersten Rosen, Schwertlilien, Farn. Die Erde duftete, und das Laub der Hecken, die die einzelnen Beete einfassten, flüsterte sommerliche Versprechungen. Als sie sich umdrehte, um die Blumen ins Haus zu tragen, sah sie den König.
„Da bist du“, sagte er.
Wie lange hatte er sie schon beobachtet?
„Majestät.“ Sie erinnerte sich aller Höflichkeiten und knickste.
„Wiebke.“
Sie wagte es aufzublicken. Er sah jünger aus, als sie ihn in Erinnerung hatte, von vielen Lasten befreit. Seine heilige Locke war nachgewachsen und reichte ihm fast wieder bis zum Kinn.
Der König gab ihr die Hand, zog sie ein Stück zu sich heran. Er lächelte, blinzelte gegen die Sonne. Schwieg.
„Majestät, ich …“ Vergangenes wollte aus ihr herausströmen, eine Erklärung für alle Missverständnisse. Doch sie konnte kaum sprechen. Es war, als ob sie etwas Klebriges verschluckt hätte, das alle Worte aufsog.
„Es ist vergessen, Wiebke.“ Auch Christians Stimme klang
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