Das Königsmal
und sie über alle Frauen des Landes emporgehoben“, hatte sie geklagt. „Als seine Gemahlin hatte sie mehr Pflichten und mehr Verantwortung als jede andere Frau. Sie hat unsere Familie mit Schmutz beworfen und sich mit einer Hure gemein gemacht. Niemals wird der König ihr ver- zeihen können, und niemals wird Dänemark ihren Fehler vergessen.“
Johanna und Wiebke hatten sich einrichten können in einem Leben, das freier war als der Zofendienst am Hof. Die Gutsherrin forderte Aufmerksamkeit und Leidenschaft bei der Erfüllung der Aufgaben, doch ihr ausgeglichener Charakter machte es allen leicht, ihr zu dienen. Sie war gerecht und begeisternd, lobte Gelungenes und half, wenn Schwieriges misslang. Sie ermunterte die Frauen, ihre Neigungen zu erkunden, zu malen, zu lesen oder Briefe zu schreiben, wenn sie nach getaner Arbeit in der Halle des Gutshauses beisammensaßen, während das Kaminfeuer und zahlreiche Kerzen gegen die nächtliche Dunkelheit anflackerten.
Immer wieder hatte Wiebke versucht, mehr über das Schicksal ihrer Familie zu erfahren. Sie hatte Briefe geschrieben, nicht nur nach Barl, sondern auch nach Bramstedt. Die Stadt hatte durch den Truppendurchzug der Kaiserlichen gelitten, ja, verstreutes Schießpulver und ein Funkenschlag hatten vor einigen Jahren den Marktplatz in Brand gesetzt, sogar der hölzerne Roland war verloren. Die Holsteiner, so hieß es, lebten von der Hand in den Mund. Alle Vorräte waren verbraucht, verdorben oder geraubt. Ein verwüsteter und karger Boden brachte nur kümmerliche Ernten hervor, und das Vieh, das allen Seuchen getrotzt hatte, suchte im Wald nach Eicheln und Bucheckern, um nicht zu verhungern.
Massenweise Flüchtlinge zogen auf der Suche nach einer neuen Bleibe durch das Land, doch jeder, der glücklich auf seinem Anwesen überlebt hatte, verteidigte dieses misstrauisch gegen alles Fremde. Der Handel wie auch das Leben in den Dörfern waren fast zum Erliegen gekommen, und so drangen aus den Ortschaften nur wenige Informationen heraus. Wiebkes Vater lebte, hieß es. Um Jahre gealtert, von den Entbehrungen des Krieges gezeichnet. Doch der stolze Bauer wollte seine Tochter nicht um Hilfe bitten. Ein Brief be- richtete ihr, dass ihr Lebensweg dem Vater missfiel: ein unverheiratetes Mädchen im Gefolge des Königs – schön dazu. Was war sie denn, wenn nicht ein warmer Körper in den Betten irgendwelcher Offiziere, hatte es in Bramstedt geheißen.
Ach, Vater, dachte sie und schickte ihm ihre Gedanken. Denkst du das? Denkst du, ich vergeude mein Leben, alles, was ich bei dir gelernt habe, zwischen irgendwelchen Laken? Sie wusste ja nicht einmal, was das war: Wollust? Begierde? Sie kannte nur die Liebe zu Johanna, ein Gefühl tiefer Verbundenheit und Zärtlichkeit. Selbstlos und ohne Raserei. Und ihre Zuneigung für die Kinder, denen sie versuchte, die Eltern zu ersetzen. Die sie in den Arm nahm, wiegte und tröstete, lobte oder tadelte. Glücklich über jeden Schritt, den sie auf dem Weg in ein eigenes Leben unternahmen. Es ist nicht eins darunter, das mich nicht liebt, Vater, dachte sie. Und sie war stolz darauf.
Dennoch stimmte sie das väterliche Schweigen traurig, seine offensichtliche Verstimmung. Doch sie wusste, dass auch eine Rückkehr nach Barl das Gerede nicht verstummen lassen würde. Ich wäre eine Fremde, dachte sie. Die Zeit im Gefolge des Königs hat mich verändert. Man würde mir manches andichten, und die Kinder würden mit Fingern auf mich zeigen. An mein altes Leben könnte ich nicht anknüpfen.
Aber hatte sie auf dem Gut wirklich ihren Platz gefunden? Sie war nun bald zwanzig Jahre alt, und sosehr sie Johannas Versuche, ihr die Familie zu ersetzen, auch rührten, fühlte sie sich doch an manchen Tagen verlassen und ohne Halt.
Umso mehr stürzte sie sich auf jede neue Aufgabe, die Ellen Marsvin ihr übertrug. Sie lernte, die Bücher der Güter zu führen, endlose Zahlenkolonnen zu überblicken, Ergebnisse und Einnahmen auf dem Rechenbrett zu prüfen. Die Gutsherrin brachte ihr bei, kaufmännisch zu rechnen und verschiedene Maße und Geldsorten miteinander in Verbindung zu setzen. Sie begriff schnell, und die solide Welt der Zahlen, harmonisch und schön, vermittelte ihr eine Ordnung der Welt, an die sie schon nicht mehr geglaubt hatte.
Das Arbeitszimmer der Gutsherrin wurde auch zu ihrer Stube, und auf dem Platz, von dem aus der König vor nicht allzu langer Zeit sein Reich regiert hatte, saß sie im Licht der Kerzen – angestrengt rechnend
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