Das Königsmal
Gesichter mit dunklerer Haut und schwarzen Haaren. Kaufleute, Handwerker, Soldaten und Seefahrer trafen sich hier, man konnte die unterschiedlichsten Trachten entdecken und die sonderbarsten Sprachen hören.
Es fühlte sich merkwürdig an, Christian so nah zu sein. Sie wusste, dass der König in der Stadt war, seine Flagge wehte stolz über dem Schloss.
„C4, C4 …“, murmelte sie und kramte aus ihrem Rock das Fläschchen mit dem kostbaren Elixier hervor. „Rache ist doch das stärkste Gift, alter Mann“, lachte sie und schwenkte die Flüssigkeit vorsichtig im Licht. „Bevor sich die Farbe aus meinen Haaren gewa- schen hat, wirst du diese Wäscherin vergessen haben und zu mir zurückgekehrt sein.“
In den vergangenen Wochen hatte sie sich ihren Plan zurechtgelegt. Sie wollte den Wein des Königs vergiften, mit dem Liebesgift vermischen. Sie wusste, wo Christian seine Fässer lagerte, und erinnerte sich noch gut daran, in welchen Krügen er sich seinen persönlichen Tischwein bringen ließ. Der Weinkeller des Schlosses war ihr Ziel. In einem unbeobachteten Moment wollte sie sich hineinstehlen und das Gift platzieren.
In den vergangenen Tagen hatte sie bereits Erkundungsgänge zum Schloss unternommen. Durch das Hauptportal würde sie nicht hineinkommen. Das Tor war von Soldaten bewacht und durfte nur von bestimmten Personen passiert werden. Doch der Eingang für das Personal und die Boten sollte einfacher zu überwinden sein. Dutzende Lieferanten drängten sich täglich vor dem Tor, um Getreide, Fleisch und Fisch für die Küche zu liefern, und oftmals winkten die Wachen ein vertrautes Gesicht einfach durch. Sie hatte beobachtet, dass ein Mädchen aus der Bäckerei zweimal täglich frisches Brot lieferte. Vielleicht überließ es ihr für einen Silbertaler den Brotkorb und seine Haube für einen Gang?
Wenn sie erst einmal im Schlosshof wäre, könnte sie das Brot in der Küche abgeben und von dort in den Weinkeller schlüpfen. Noch immer trug sie einen der Glückstädter Generalschlüssel bei sich, mit dem sich die wichtigsten Türen des Schlosses öffnen ließen. Unter meinen Röcken versteckt sich der Zutritt zu Dänemarks ganzer Herrlichkeit, dachte sie amüsiert, denn sie hatte alle Schlüssel, die sie je bekommen hatte, aufbewahrt. Sie lächelte triumphierend: Wenn ich wollte, könnte ich morgen in die Schatzkammern Kopenhagens marschieren.
Voller Befriedigung tastete sie nach der Kette mit den vielen großen Schlüsseln unter ihrem Rock. Ihre Finger fanden blind den geschmiedeten Eisenschlüssel für die Türen von Schloss Rosenborg. Sie ließ ihre Finger durch das Bund gleiten und lauschte seinem leisen Klimpern. Die Bewegung und das Geräusch ließen sie plötzlich erschauern. Es erinnerte sie an ihre schönsten Stunden mit dem Rheingrafen. Otto von Solms hatte die Schlüssel in ihr Liebesspiel einbezogen und war mit dem kalten Metall über ihre glühende Haut gefahren. Einmal hatte er sie mit dem Schlüsselbund geschlagen, fest und zornig, und es hatte ihr gefallen.
„Bastard“, fauchte sie, und das Mädchen, das eben eine Schüssel warmen Wassers zum Waschen bringen wollte, zuckte zusammen. Das Wasser schwappte über den Rand der Schale und ergoss sich auf den grauen Dielenboden.
„Verzeihung, Gräfin“, murmelte es und knickste demütig.
„Madame Christensen, Christensen, Christensen – geht das denn nicht in deinen dämlichen Schädel?“, schimpfte die Gräfin. „Madame Anna Christensen. Los, geh und bring mir Wein. Und dann lass mich allein, bis ich wieder nach dir rufe.“
Der Sommer stand in prächtiger Blüte. Warm und freundlich strich der Wind von der Elbe durch den Schlossgarten und zupfte an seinen Gewächsen. Rosen verströmten ihren Duft und lockten Bienen in ein samtenes Bett, dazwischen blühten Stockrosen, Schwertlilien und süßer Flieder. Der König und Wiebke genossen den Spaziergang durch die von Wasser umgebenen Gärten. Sooft es Christians Pflichten zuließen, gönnte sich das Paar dieses nachmittägliche Vergnügen, um die wichtigsten Ereignisse des Tages zu besprechen und im Lusthaus des Gartens eine Weile beieinander zu sein. Es pflegte dieses Ritual als Erinnerung an den Beginn seiner Liebe.
Schon am Vormittag hatte sich Wiebke auf diese Stunde gefreut. Der Morgen, klar und duftend, versprach einen herrlichen Tag – un- beschwert und fröhlich. Doch jetzt, zwischen den Blumenrabatten, fühlte Wiebke sich unruhig. Ameisen zogen in sturem Fleiß ihre Straße,
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