Das Königsmal
worden. Ende des Jahres übereignete Seine Majestät Wiebke das adlige Gut zu Bramstedt samt Schloss und Mühle, das er heimlich gekauft hatte.
„Es ist ein Geschenk meiner Liebe zu dir“, erklärte er, als Wiebke zitternd vor Aufregung die Schenkungsurkunde las.
Doch wir alle wussten, dass er ihr damit auch eine Zuflucht und ein Auskommen sichern wollte, sollte ihm etwas zustoßen. Seine Majestät war schließlich sechsundfünfzig Jahre alt, und viele seiner ehemaligen Mitstreiter waren längst von dieser in eine andere Welt gegangen. Zuletzt Friedrich von der Pfalz. Der unglückliche Böhmenkönig war, von Melancholie gezeichnet, mit nur sechsunddreißig Jahren im Exil gestorben.
DAS FEST
Kopenhagen und Gut Boller, Oktober anno 1634
Die Töne schwebten durch den Raum, schwermütig fast und doch festlich. Wiebke lehnte sich zurück und ließ die Melodie auf sich wirken. So fühlt ein Mann, der alles verloren hat, dachte sie und ließ ihren Blick für einen Moment auf dem Rücken des Hofkapellmeisters ruhen. Die rot geränderten Augen des grauhaarigen und spitzbärtigen Heinrich Schütz spiegelten das Leid der Welt. Krieg und Pest hatten ihm innerhalb weniger Jahre seine junge Ehefrau, die Eltern, den einzigen Bruder und beide Töchter genommen. Und doch galt dieser Mann, der sein Leben als qualvolle Existenz betrachtete, als der herausragendste Musiker seiner Zeit. Niemand, kein Italiener und kein Franzose, hatte ähnliche Stücke verfasst – vielstimmige Kompositionen, die Schönheit und Schöpfung huldigten, Jubel und Gebet vereinigten.
„Er fühlt die Musik“, wisperte sie Christian zu, der neben ihr saß. Christian nickte, wandte sich jedoch gleich wieder an seinen Kanzler Christen Friis von Kragerup, der rechts neben dem König an der Tafel saß. Trompeten, Posaunen, Krummhörner, Blockflöten und Pauken vereinigten sich zu einem rauschhaften Tusch und kündigten Sänger an, die Madrigale vortrugen.
Die Hochzeitsfeierlichkeiten für Kronprinz Christian und die junge Prinzessin Magdalena Sibylla von Sachsen steuerten ihrem Höhepunkt entgegen. Hunderte Gäste aus den europäischen Herrscherhäusern waren geladen worden, um den mehrwöchigen Feierlichkeiten beizuwohnen. Sie hatten pompöse und prunkvolle Tage in Kopenhagen verlebt mit Gottesdiensten und Theateraufführungen, Balletten und Feuerwerken, Konzerten, Umzügen, Turnieren und Festbanketten. Ein Rausch an Wunderbarem oder, so hatte es Schütz in einem seiner Stücke besingen lassen, ein Fest „der großen Wundertaten“.
Christian hatte die Hochzeit als glanzvolles Schauspiel geplant, eine verschwenderische Inszenierung, die dem Wohlstand und Überfluss huldigte. Die Vermählung des Thronfolgers sollte aller Welt zeigen, dass Dänemark die Verluste des Krieges überwunden hatte und er selbst, der König aller Dänen und Norweger, immer noch einer der mächtigsten Männer Europas war.
„Ich bin doch einer von ihnen“, flüsterte er Wiebke zu, als ihm die hohen Gäste ihre Aufwartung machten.
Das Festbankett ließ selbst die verwöhnten Gäste staunen. Fünfzehn Gänge wurden aufgetragen, darunter Pasteten, Geflügel und Wildgerichte, Fleischiges, Krebse, Fische, Früchte und diverse Süßigkeiten. Die Tafeln bogen sich unter der Last der Köstlichkeiten, und über allem thronten spektakuläre Schaugerichte: Feuer speiende Wildschweinköpfe und Pfaue, die in ihrem prächtigen Federkleid serviert wurden, prunkten neben riesigen Gebilden aus Zuckerwerk, die Fabelwesen, fremde Tiere und die schönsten königlichen Schlösser darstellten, bis sie unter der Hitze der mehr als tausend Kerzen zu Karamell zerschmolzen. Tischbrunnen versprühten Orangenwasser und Wein.
Hunderte Bedienstete trugen die Speisen auf und liefen zwischen den Kredenzen, Wärmekisten und langen Tafeln hin und her, um jeden Gast zufriedenzustellen. Wiebke beobachtete, dass sich auch die Lakaien von den Leckerbissen bedienten und diese mit einem kräftigen Schluck Wein oder Bier herunterspülten. Umher- laufende Hunde schnappten sich saftige Happen von den abgestellten Tellern und jagten mit ihrer Beute hinaus.
Heiter ließ Wiebke ihren Blick über die Tischgesellschaft der königlichen Tafel wandern. Sie sah die Mitglieder des Rigsråd und die Richter des Herredag, die wiederum vorgaben, die Frau ihres Königs nicht zu sehen. In ihrem Universum existierte sie nicht, und Wiebke fragte sich, was sie an ihrer Stelle sahen. Eine Zofe, die sich gegen alle Ordnung an die Seite
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