Das Königsmal
sie eines Tages Johannas Stelle einnehmen? Sie wurde der Hofdame langsam überdrüssig und konnte es nur schwer ertragen, die feinen Spuren des Alterns an ihrer ersten Zofe bemerken zu müssen. Sie beide waren etwa gleich alt, und die ersten Falten und das dünner werdende Haar der anderen spiegelte auch ihren eigenen Verfall wider.
Außerdem war Christian ganz vernarrt in seine Entdeckung. Kirsten war nicht dumm und hielt die Schicksalsfäden ihres Lebens gern fest in der Hand. Sie wusste, dass sie sich mit ihrer Affäre auf brüchiges Eis begeben hatte. Es konnte gut sein, dass sie eines Tages eine Verbündete an der Seite des Königs gebrauchen könnte. Doch zunächst musste sie sich der Loyalität des Mädchens versichern, sie fester an sich binden. Schnell suchte sie Papier und Feder und schrieb:
„Verehrter Herr, die Tage sind allzu dunkel und die Blumen in meinem Garten welken dahin. Ich wünschte, Ihr könntet kommen, um ihnen die Pflege angedeihen zu lassen, die sie wieder in schönster Pracht erblühen lassen. Bitte lasst mich wissen, ob Ihr mir ein Mittelchen gegen die Tristesse empfehlen könnt. Eure betrübte Gärtnerin.“
Kichernd überflog sie die Zeilen, die dem Rheingrafen natürlich nur eines mitteilen sollten: unaussprechliche Sehnsucht nach unaussprechlich sündigen Stunden mit dem verehrten Herrn. Ein wenig Ackerei in ihren verborgenen Gärten. Wenn Otto in guter Stimmung war, würde er ihr noch im Beisein des Kuriers antworten und einige Anweisungen zu Papier bringen, wie sie sich selbst zu lustvollen Vergnügungen verhelfen konnten, während sie aneinander dachten.
Sollte dieser Brief jedoch in falsche Hände geraten und von den Spionen des Königs abgefangen werden, hätte Christian nichts Konkretes gegen sie in der Hand. Der Rheingraf war als großer Con- naisseur der Gartenkunst bekannt. Seine Residenz bei Wertheim schmückte ein prächtiger Lustgarten mit allerlei seltenen Exemplaren aus Übersee. Der Graf züchtete sogar Tulpen, deren Zwiebeln aus dem Orient über die Niederlande nach Deutschland gekommen waren. Besonders stolz war er auf ein geflammtes Exemplar, dessen Blüte die bizarrsten Musterungen hervorbrachte. Die Semper Augustus war äußerst selten und wurde zu Höchstpreisen gehandelt. Tausendzweihundert holländische Gulden hatte ihn die Zwiebel gekostet – so viel wie zwanzig prachtvolle Hengste.
Zufrieden mit ihrem Werk versiegelte Kirsten den Brief mit rotem Lack. Sie drückte das Siegel auf, das Otto ihr für die heimliche Korrespondenz geschenkt hatte – eine verschlungene Blüte, die sich wie eine Schlange um seine Initialen wand. Dann ließ sie nach Wiebke rufen.
DER BRIEF
Steinburg in Holstein, Herbst anno 1625
Die Karten lagen ausgebreitet auf der dunklen Eichentafel, doch Christian hatte dem Wirrwarr aus Linien, Punkten und anderen Kürzeln den Rücken gekehrt.
„Später, später“, murmelte er und blickte nachdenklich aus dem Fenster des Turmzimmers über die Ebene. Er wartete auf sein Kriegskabinett, das er zur Lagebesprechung einberufen hatte. Später – dann würde immer noch Zeit sein, sich über die Mappen zu beugen, eine Entscheidung zu treffen.
Er liebte diesen Raum hoch oben in der alten Burg. Schon als Kind hatte er sich für die versteckten, über Wendeltreppen nur schwer erreichbaren Kammern in den Familienschlössern begeistert. Nicht die prunkvollen Festsäle mit ihren Spiegeln, Ornamenten und dem glänzenden Parkett faszinierten ihn, sondern das Geheimnisvolle, Intime der entlegenen Turmkabinette. Dort oben fühlte er sich machtvoll und gleichzeitig der Welt entrückt. Hier meinte er, ganz bei sich und nah bei Gott zu sein.
„Warum bauen wir unsere Kirchen nicht als unendlich hohe Himmelstürme?“, hatte er seinen Vater, den König, damals mehr als einmal gefragt. Er konnte nicht verstehen, wie die Menschen den Zauber des Herrn in den dunklen Kirchenschiffen erleben sollten, während es hoch oben doch so viel einfacher war, seine Herrlichkeit zu spüren. Und so stellte er sich vor, wie er später als König den Gemeinden in ganz Dänemark befehlen würde, sich aus den Kirchenbänken zu erheben und die steilen Stufen der Glockentürme hinaufzusteigen, um dort oben den Gottesdienst zu feiern. Ihr Chorgesang würde dann wie Engelsrauschen über dem Land liegen. Noch heute begeisterte ihn diese kindliche Fantasie, und er hatte sich fest vorgenommen, Kopenhagen einen Turm zu schenken, damit seine Dänen dort dem Himmel nahe sein
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