Das Königsmal
Musik und höfische Feste genug Abwechslung boten, um nicht an die Tristesse des irdischen Lebens denken zu müssen. Dort hatte sie auch den Rheingrafen kennen gelernt. Bei einem Tanz hatten sie sich gestreift, und inmitten der lachenden Gesichter, die an ihr vorbeiwirbelten, war ihr das seine als das unwiderstehlichste erschienen. Noch in derselben Nacht hatte sie von seinen verheißungsvollen Lippen geträumt und ihn am nächsten Morgen um ein erstes Treffen gebeten.
Der Graf hatte ihr im Marmorzimmer auf Schloss Rosenborg seine Aufwartung gemacht, in der Maskerade eines artigen Kavaliers. Doch als er ihr nach harmlosem Geplauder die Hand zum Abschied küsste, hatten seine Lippen einen Moment zu lange auf ihrer Hand verweilt, sodass sie rot wurde und seine Augen spöttisch zwinkerten. Danach war sie ihm verfallen, und bald kannte er die geheimen Gänge und Wege im Schloss, auf denen nächtliche Besucher unerkannt überallhin gelangen konnten – auch in das Bett der königlichen Gemahlin.
Kirsten Munk hoffte, dass Otto von Solms auch jetzt mit ihnen reiste. Was wäre ihr Leben heute ohne ihn? Eine sinnlose Existenz, nur ein Korsett aus Zwängen und leeren Gesten. Kein Gefühl, kein Rausch, kein Herzschlag. Sie ließ sich in ihr Reisekleid helfen, dann ein leichter Mantel mit Kapuze, das Haar locker daruntergesteckt. Jetzt war keine Zeit für komplizierte Frisuren, auch wenn sie ihren Stolz hatte.
Endlich hastete auch Kirsten die Treppen hinunter, ihre geliebte Pelzdecke hinter sich her ziehend, den Mops im Arm. Johanna, Wiebke und die Kinder saßen bereits in der zweiten Kutsche, das Gepäck war verstaut. Wiebke war so geistesgegenwärtig gewesen, einen Krug warmer, mit Honig gesüßter Milch aus der Küche mitzunehmen, die die Kinder gierig tranken. Die kleine Elisabeth Auguste saugte an einem Tuchzipfel, der mit Honig getränkt war.
Christian saß in der ersten Kutsche und war dankbar, in diesem Moment nicht auf ein Pferd steigen zu müssen. Die Haut zwischen seinen Beinen war wund gerieben. Endlich zwängte sich jetzt auch seine Frau neben ihn, Frederik schloss den Schlag und stieg zum Kutscher auf den Bock hinauf.
„Du wirst mich unter diesem Pelz noch ersticken“, fluchte er. „Auch wenn diese Nacht eine Zeitenwende für uns alle sein wird, der Sommer ist noch nicht vorbei.“
Doch dann besann er sich und legte einen Arm um Kirsten. Sie zitterte, und er begann, sich selbst zu verachten. Was konnte sie für diese Niederlage? Und hatte er nicht Tränen fließen sehen, Tränen des Mitgefühls und der Trauer? Er lehnte seinen Kopf an ihre Schulter, schob ihre Kapuze zurück und roch an ihren köstlich duftenden Haaren.
Mit einem Ruck setzten sich die Wagen in Bewegung. Zu ihrem Schutz folgten ihnen hunderte Soldaten, ein kümmerlicher Abgesang auf sein geliebtes Heer. Dazu Knechte und Küchenpersonal, sein Arzt Fueren und einige Feldchirurgen. Der Rest des Heeres musste sich auf eigene Faust durchschlagen. Sollten sie ohne Verzögerung vorankommen, würden sie in drei bis vier Tagen die Elbe erreichen und dort Schiffe besteigen können. Ein Spähtrupp, darunter auch Buchwald, war bereits unterwegs, um alles diskret vorzubereiten.
Nachdem sie die breite Schlossallee entlang und über den Wassergraben gerumpelt waren, verließen sie die Stadt mit ihren schweren Fachwerkhäusern und den majestätischen Kirchen durch das nördliche Tor. Auf der Schlossbrücke war sein Blick noch einmal auf die Skulpturen gefallen, die diese wie steinerne Wachen säumten. Sie sollten die Tugenden und Pflichten des Landesherrn darstellen, und Christian lachte bitter auf. Er hatte Wolfenbüttel wahrlich keinen guten Dienst erwiesen. Wenn sich die Stadtherren nur schnell genug ergaben, würde sich Tilly vielleicht im Taumel seines Siegeszuges großzügig zeigen und den Plünderungen Einhalt ge- bieten. Er hoffte für die freundliche Bevölkerung, die ihn so lange beherbergt und nie die Geduld mit ihren Besatzern verloren hatte.
Er dachte auch an Anna, die schöne Tochter des Landvogts. Was wird aus dir, Anna-Liebchen? Er hatte das Mädchen mit den dunklen Locken und den lustigen Augen, die das italienische Temperament ihrer Mutter widerspiegelten, die ein seltsames Schicksal einst von Florenz nach Wolfenbüttel geführt hatte, im April kennengelernt. Und einige schöne Stunden mit ihr verbracht. Sie hatte ihm den Trost geschenkt, den Kirsten ihm nicht mehr gab und den Wiebke ihm nicht geben durfte, weil sie doch sein heiliger
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