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Das Königsmal

Das Königsmal

Titel: Das Königsmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Burseg
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samtenen Stoff der Draperien. Auch Buchwald war im Raum, bleich, erschöpft, reglos. Wiebke knickste, doch niemand nahm sie wahr. Die Augen des Königs fixierten einen Punkt, der in einer anderen Welt zu liegen schien.
    „Was kann ich tun?“, flüsterte sie in das Entsetzen hinein.
    Statt zu antworten zeigte Christian auf die Karaffe mit Wein, und sie brachte ihm einen Becher. Als sie vor ihm stand, hörte sie ihn flüstern, lauter ihr bekannte Namen: Marquard, Philipp, Sigward, Friedrich, Johann … Ein Totenlied, durchfuhr es Wiebke, und sie spürte die Tränen in ihren Augen brennen. Sanft drückte sie dem König den Becher in die Hand und schloss seine willenlosen Finger um das Metall.
    „Wir müssen fliehen, Wiebke“, sagte die Gräfin jetzt mit einer seltsam flachen, atemlosen Stimme, aus der die Angst sprach. „Geh, pack die Kisten zusammen, Johanna hat bereits angefangen. Noch vor Morgengrauen verlassen wir das Schloss.“
    An der Tür stieß sie mit Frederik zusammen, der gerade einen Offizier in den Raum führen wollte. Der Mann war in fürchterlicher Verfassung, die Kleidung zerrissen und blutig, die Haare wirr, über dem linken Auge klaffte eine Schnittwunde. Es war der Rheingraf.
    „Majestät“, meldete er atemlos. „Die Verletzten sind versorgt. Die Feldchirurgen sagen, sie kommen durch, wenn sie kein Fieber bekommen und ruhig liegen können. Wir müssen sie hier zurücklassen und an Tillys Anstand appellieren. Ich habe einige Pferde finden können, die nicht allzu sehr beansprucht worden sind; sie stehen im Hof bereit. Auch die Kutschen für Madame und die Kinder sind vorgefahren, wir sollten uns beeilen.“
    „Ja, wir sollten uns beeilen“, wiederholte Christian die Worte des Offiziers. „Wir sollten uns beeilen, dorthin zu kommen, wo wir hergekommen sind.“ Dann stand er auf und befahl dem Kammerdiener, saubere Kleidung für den Rheingrafen zu bringen. „Kirsten, ich möchte dir Graf Otto von Solms vorstellen“, sagte er an seine Frau gewandt. „Er ist ein tapferer Soldat.“
    „Und er lebt“, antwortete sie. Dann brach die Gräfin in Tränen aus und stürzte aus dem Raum.
    Ihre Hände hatten sich von ihr losgelöst, arbeiteten selbstständig, ohne sich von dem Chaos in ihrem Kopf ablenken zu lassen. Bücher, Skulpturen, Schmuck, Kleidung – sie rafften zusammen, was ihnen kostbar war, und stopften es in die Reisetruhen, die weit geöffnet mitten im Raum standen. Auch Johanna und Wiebke suchten zusammen, was sie unterwegs benötigten. Wiebke kümmerte sich auch um die Kinder, die weinend und frierend neben ihren Betten standen und nicht wussten, was um sie herum geschah.
    Guter Gott, was war sie erleichtert gewesen, als Otto vor ihr stand. Unversehrt, bis auf eine Schramme an der Stirn, deren Narbe ihm später den verwegenen Ausdruck eines tollkühnen Kriegers verleihen würde. Fast hätte sie sich mit einem Freudenschrei auf ihn gestürzt. Dann hatte sie in Wiebkes weit aufgerissenen Augen gelesen, dass das Mädchen genau diese verräterische Geste kommen sah. Das hatte sie zur Besinnung gebracht. Doch ihre Tränen hatte sie nicht mehr zurückhalten können.
    Und nun die Flucht. Christian wollte zunächst die Elbe erreichen, um dann mit dem Schiff nach Stade zu segeln. In der Stadt an der Elbmündung könnte man vielleicht das Winterquartier aufschlagen. Ein Versuch, die Gegend um Wolfenbüttel zu halten, wäre sinnlos. Die benachbarten Herrscher würden sich bald unter schmeichelnden Loyalitätsbeteuerungen Tilly an den Hals werfen, und von allen Verbündeten aus besseren Tagen hielten sicherlich nur die beiden Herzöge von Mecklenburg aus. Vielleicht drängte man sie auch nach Jütland ab? Wenn die niedersächsischen Stände erst von Christian abfielen und auf einen Ausgleich mit dem Kaiser setzten, stand der Norden den kaiserlich-katholischen Heeren offen.
    Was fühlte sie in diesem Moment der Niederlage, der furchtbaren Schmach für den König, für Dänemark? Hatte sie Angst um ihr Leben? Angst um das Leben ihrer Kinder? Nein, da war nichts. Lediglich Angst vor dem Unbekannten, vor den Unbequemlichkeiten der Flucht, vor dem Ende dieses wunderbaren Lebens, das sie mit so vielen Freiheiten und Vergnügungen beschenkt hatte.
    Sie packte weiter, suchte nach ihren Gedanken, die sie irgendwo in ihrem Durcheinander vergraben hatte. Wie gern kehrte sie zurück nach Kopenhagen, in den sicheren Schutz der Paläste, wo man sich in Hunderten von Räumen verlieren konnte und wo Theater,

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