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Das Königsmal

Das Königsmal

Titel: Das Königsmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Burseg
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gejagt hatte, stieg sie langsam die Treppe zu ihrer Kammer hinauf.
    Dort kleidete sie sich bis auf das Hemd aus und wollte sich in ihr Bett legen, doch etwas zog sie zum Fenster. Sie stand lange an der kleinen Dachluke und blickte hinaus in die klare Nachte, suchte in den Sternenbildern nach Antworten. Über dem Südhorizont, geradeaus vor ihr, lag der Mars, zu dieser Zeit der auffälligste Punkt am Himmel. Seine rötliche Helligkeit schien zu pulsieren und er glühte wie eine Flamme. Ein faszinierendes und doch beängstigendes Schauspiel.
    Sie wusste, dass das dänische Heer in südliche Richtung gezogen war, dieser Himmelsflamme entgegen. Den Römern galt Mars als der gefürchtete Kriegsgott. In den alten Sagen hieß es, dass er über dem Schlachtfeld von Marathon, dem dunklen Engpass der Thermophylen, gestanden hätte, wo er von den letzten Schreien der Gefallenen der Barbarei angeklagt worden wäre.
    „Doch der Mensch hat keinen anderen Feind als sich selbst“, hatte der König geseufzt, als man bei Tisch über die unheimliche Macht des roten Planeten gesprochen hatte.
    Ihre Gedanken wanderten zu König Christian. Noch nie war ihr seine Abwesenheit so schmerzhaft bewusst gewesen. Sein breites, nordisches Gesicht fehlte ihr an der Tafel, seine aufmerksamen Augen, seine spöttischen Geschichten bei den abendlichen Gesellschaften. Am Abend vor dem Aufbruch hatte Christian sie zu sich gerufen. Er hatte an seinem Schreibpult gesessen, die Hände über einigen Papieren gefaltet.
    „Wir ziehen gegen Tilly“, hatte er gesagt, und aus seiner Stimme war Erleichterung zu hören gewesen. „Bitte leg das Kreuz nicht ab, das ich dir geschenkt habe. Die Jungfrau an deinem Herzen soll mein Schutz sein.“
    Wiebke hatte nicht gewusst, was sie antworten sollte. Sie hätte dem König gern die Hände geküsst, ihm gesagt, dass sie das Kreuz niemals wieder ablegen wollte, ihm gestanden, dass sie lieber mit ihm ziehen würde, als im Schutz der Residenz um sein Leben zu bangen. Sie war einige Schritte auf ihn zugegangen, doch der Tisch hatte zwischen ihnen gestanden, und sie hätte wohl schlecht um das Pult herumtreten, neben dem sitzenden König stehen und auf ihn herabblicken können. Schon auf dem Weg hätte sie den Mut verloren, und alles wäre in einer entsetzlichen Ungeschicklichkeit geendet.
    Und so hatte sie nur geknickst und genickt. Sie hatte bemerkt, dass der König offenbar auf ein Wort von ihr wartete. Mit seinem linken Daumen hatte er über den rechten gestrichen, dann seine Lippen geöffnet, als ob er nach Worten gesucht hätte. Doch schließlich hatte auch er nur stumm genickt und sie entlassen.
    Auf dem Flur hatte sie sich für ihre Scheu gescholten. Wo war ihre Unbefangenheit? Hätte sie dem König damals in Bramstedt so stumm und linkisch gegenübergestanden, hätte er ihr nie die Tür in dieses andere Leben geöffnet. Ärgerlich hatte sie sich auf die Lippen gebissen, bis sie Blut geschmeckt hatte.
    Sie merkte, dass sie fröstelte. Die Nächte waren schon beinahe herbstlich geworden. Statt der lauen Sommerluft zog Feuchtigkeit durchs Mauerwerk. Wenn sie jetzt nicht schnell ins Bett ging, würde sie sich erkälten. Sie schloss das Fenster und rollte sich wenig später in ihr Laken ein. Noch bevor sie das Nachtgebet zu Ende gemurmelt hatte, fiel sie in unruhigen Schlaf. Immer wieder zuckte ihr Körper zusammen, und ein dunkler Traum ließ sie sich von einer auf die andere Seite wälzen.
    Mitten in der Nacht wurde sie durch den Hufschlag einiger Pfer- de aus dem Schlaf gerissen. Sie hörte Türen schlagen, was schlechte Nachrichten verkündete. Im nächsten Moment rief man schon nach ihr. Sie schlang sich zitternd ein Tuch um die Schultern und schlüpfte in ihre Holzpantinen. Auf dem Flur vor den Gemächern der Herrschaften brannten bereits die Kandelaber und Fackeln, eben trug Frederik ein Bündel blutgetränkter Kleider aus dem Zimmer des Königs.
    „Was ist geschehen?“, flüsterte sie angstvoll, und mit plötzlicher Wucht brachen die zu Realität gewordenen Ahnungen über ihr zusammen.
    „Der König hat eine Schlacht verloren“, antwortete der Diener bleich. „Geh nur hinein, die Gräfin ist bei ihm und erwartet dich schon.“
    Im Zimmer des Königs herrschte Schweigen, Christian hatte sich auf einen hohen Stuhl gesetzt, die Beine weit von sich gestreckt. Die Gräfin stand am Fenster, noch im Nachtgewand und mit locker geflochtenem Zopf, der ihr bis zur Taille reichte. Ihre Finger spielten mit dem

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