Das Königsmal
erschien. Es ist, als ob er sich hat häuten müssen, dachte sie. Jede Niederlage hat ihm eine Schicht seiner Panzerung abge- rissen und mehr von seiner Verletzlichkeit offenbart. Bald steht nur noch der Mann vor mir.
Plötzlich sprang die Tür auf. Johanna huschte leise hinein und legte sich zu Wiebke ins Bett.
„Wach nicht auf, Liebes“, flüsterte sie. „Ich bin es, ich bin es nur.“
Sie drückte sich an Wiebke und gab ihr einen Kuss aufs Haar. Im nächsten Moment waren die beiden Frauen eingeschlafen.
Als Christian erwachte, war der Platz an seiner Seite leer. Kein Lächeln, das ihn empfing. Keine warmen Schenkel, die sich um ihn schlangen. Kirsten musste sich im Morgengrauen davongeschlichen haben, ohne dass er es bemerkt hatte. Erstaunt blieb er noch einen Augenblick reglos liegen und starrte an die Decke. Wann hatte er das letzte Mal so tief und so lange geschlafen?
Tatsächlich fühlte er sich frisch und erholt. Aus dem benachbarten Zimmer drangen die Stimmen seiner Kinder, und er setzte sich auf und klopfte auffordernd gegen die Wand. Es klang wie „hopp, hopp, hopp“ und es dauerte keine Minute, bis die Tür polternd aufgerissen wurde und die Rasselbande zu ihm ins Bett sprang, um mit ihm zu toben und auf seinen Knien zu reiten. Christian nahm sich Zeit für die Kobolde, die mit leidenschaftlichem Gekicher auf der Matratze hopsten, an seinen Haaren zogen und versuchten, die königlichen Füße zu kitzeln. Erst als sein Kammerdiener in der Tür stand und ihn an seinen kaiserlichen Botschafter erinnerte, der soeben eingetroffen war, verabschiedete er die Kinder mit einem Kuss.
Eine Stunde später trat der König in die Halle. Man hatte den Gesandten in einem bequemen Lehnstuhl am Feuer platziert. Johann Wilhelm von Tillmanns hatte sich die Zeit bei einem Becher verdünnten Weins und im Gespräch mit dem Rheingrafen vertrieben. Beide Männer hatten ihre Hüte abgelegt. Langes Haar fiel auf prächtige weiße Spitzenkragen, die sich über das Wams aus Brokat legten. Doch im Gegensatz zu Otto von Solms, dessen Haltung und schöne Gestalt von den edlen Stoffen noch unterstrichen wurde, wirkte der kaiserliche Gesandte darin wie ein unförmiger Sack. Seine Leibesfülle drängte gegen den Stoff, und das Fleisch quoll überall hervor, wo es sich seinen Weg bahnen konnte. Ein gewaltiges Doppelkinn schlackerte über dem Kragen, und kleine Schweinsaugen linsten listig aus dem stets rotwangigen Gesicht.
Jedes Mal, wenn Christian seinen Botschafter sah, fragte er sich, wie sich der Mann überhaupt rühren geschweige denn ein Pferd besteigen konnte. Aber von Tillmanns wusste seinen massigen Körper mit erstaunlicher Geschwindigkeit zu bewegen. Ebenso flink war auch sein Geist, weshalb ihn der König außerordentlich schätzte.
Als der Gesandte seinen König kommen sah, sprang er auf und verbeugte sich tief. Auch der Rheingraf machte seine Aufwartung, um sich gleich darauf zu verabschieden. Christian wünschte den Botschafter unter vier Augen zu sprechen. Er umarmte von Tillmanns freundschaftlich und führte ihn in die kleine Schreibstube, in der sich die beiden Männer an den mit Karten bedeckten Tisch setzten.
„Was bringt Ihr mir vom Kurfürstentag?“ Christian kam ohne zeitraubendes Vorgeplänkel auf den Punkt. Er stütze seinen Kopf in die Hände und sah seinen Botschafter erwartungsvoll an.
Die sieben Reichsfürsten und der Kaiser waren in der thüringischen Stadt Mühlhausen zusammengekommen. Die Versammlung außerhalb des Reichstags wurde traditionell zur Beratung von internen Angelegenheiten und Reichsfragen einberufen.
„Ich fürchte, es ist keine Verbesserung unserer Lage zu erwarten“, antwortete von Tillmanns ebenso direkt. „Mühlhausen wird als der Kongress in die Geschichte eingehen, auf dem deutlich wurde, dass es in Deutschland keine Macht gibt, die es mit dem Kai- ser und seinem Feldherrn aufnehmen kann. Man sagt, Wallenstein habe dem Kaiser erklärt, dass er mit den Mitteln der besiegten Länder den Krieg noch sechs Jahre führen könne, ohne einen Kreuzer von der Regierung zu beanspruchen.“
„Das ist Unsinn“, polterte Christian. „Will sich denn das gesamte Deutsche Reich von diesem Parvenü auf dem Kopf herumtanzen lassen?“
„Schlimmer noch, Majestät. Der Kaiser hält die Zeit für gekommen, seine wahren Ziele offenzulegen: Er verlangt die konfessionelle Neuordnung Deutschlands. Alle Kirchengüter, die nach dem Augsburger Religionsfrieden in weltlichen Besitz
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