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Das Königsmal

Das Königsmal

Titel: Das Königsmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Burseg
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verhielten sich die Liebenden geschickt. In der Öffentlichkeit mieden sie jede Berührung, jeden Blick, der das Maß des Anstands überschritt. Sie warteten offenbar geduldig auf die Stunden, in denen sie sich ungestört ihrer Leidenschaft hingeben konnten. Wiebke wusste nicht, wo sie sich trafen, doch Johanna hatte ihr erzählt, dass die beiden regelmäßig Briefe wechselten. Sie setzten ihre Begegnungen also auch auf der Insel fort – selbst wenn sich das Leben aller auf so dramatische Weise verändert hatte.
    Als sich der königliche Haushalt in Stade eingeschifft hatte, war die Gräfin kaum Herr ihrer Sinne gewesen. Wieder war der Befehl zum Aufbruch mitten in der Nacht gekommen und hatte alle aus dem Schlaf gerissen. In nur zwei Stunden mussten Frauen und Kinder reisefertig sein, da im Hafen bereits das Schiff wartete und der Wind günstig stand. „Zurück nach Dänemark“, gellte es durch das Quartier, doch Kirsten war unfähig gewesen, sich an den Vorbereitungen zu beteiligen. Tränenüberströmt streifte sie wie ein verlassenes Kind durch die Berge von Gepäck und Proviant.
    Im Hafen war sie schweigend an Bord des Dreimasters geeilt, eingehüllt in ihre Pelzdecke, obwohl es eine milde Sommernacht war. Kein Blick, kein Wort zu den versammelten Stadtherren, die im Morgengrauen an die Brücke gekommen waren, um dem König das traurige Abschiedsgeleit zu geben. Erst als das Schiff schon ein wenig vom Land entfernt war und sich ein dunkel gekleideter Mann durch die am Ufer stehende Menge drängte und zum Schiff grüßte, hatte sie das Taschentuch von ihren verweinten Augen genommen und eine fast unmerkliche Handbewegung gemacht.
    „Das ist ja der Rheingraf“, hatte der König überrascht gerufen. „Es hieß, er sei in Braunschweig, um neue Männer zu mustern. Was macht er hier?“
    Die Gräfin hatte nicht geantwortet, sondern war unter Deck geeilt. Christian hatte sich daraufhin achselzuckend an einen Offizier gewandt und das seltsame Verhalten seiner Frau nicht weiter beachtet. Bei ihrem Landgang in Büsum am nächsten Tag war Otto von Solms schließlich zu ihnen gestoßen und hatte behauptet, er habe das Schiff nach den ernsten Meldungen noch erreichen wollen, um die königliche Familie zu schützen.
    Auch Wiebke selbst war der Abschied schwergefallen. Die Flucht aus Stade war das Eingeständnis, dass Holstein verloren war. Sie fürchtete um ihre Familie, um ihre Heimat und fragte sich, ob sie sich in Büsum von der königlichen Familie trennen sollte, um ihren Angehörigen in diesen Zeiten beizustehen.
    Auf der unruhigen Fahrt hatte sie lange an Deck gestanden und nicht gewusst, wie sie sich entscheiden sollte. Sie beobachtete die Wellen, die sich in ihrem ewigen Auf und Ab den Mächten des Windes unterwarfen. Flüchtige Gebilde, beständig nur in ihrer Unbeständigkeit. Jede Bewegung des Schiffes hatte auch ihre Gedanken wieder durcheinandergewirbelt und jeden gefassten Vorsatz im weißen Nebel der Gischt aufgelöst. Sie blickte zum Horizont, an dem Hoffnung und Zukunft ineinanderflossen.
    Als das Kreischen von Möwen am nächsten Tag die Küste Dithmarschens ankündigte und sich aus dem Blau des Wassers die Konturen des flachen Ufers herausbildeten, wusste sie noch immer nicht, was sie tun sollte. Verwirrt stieg sie an Bord der kleinen Schaluppe, welche die Passagiere an Land bringen sollte. Sie fürchtete sich davor, einen Fuß an Land zu setzen und eine Entscheidung treffen zu müssen. Denn hier musste sie fallen: Von Dithmarschen aus konnte sie sich allein nach Hause durchschlagen. Wenn sie mit der königlichen Familie weiterreiste, rückte ihre Familie in unerreichbare Ferne. Ihr Herz klopfte, Gischt schwappte ins Boot und ließ die Kinder auflachen.
    Plötzlich gab es Aufruhr am Strand, lautes Geschrei und ein aufgeregtes Hin- und Hergerenne. Beim Näherkommen sah sie Musketenläufe aufblitzen, und noch bevor die Soldaten reagieren konnten, fegten die ersten Kugeln über das Wasser.
    „Auf den Boden“, brüllte Christian und riss seinen Sohn auf die Planken. Auch Johanna und Wiebke griffen sich ein Kind. Kirsten hatte sich bereits in Deckung begeben und kniete mit ihrem jaulenden Hündchen zitternd hinter einer Reisetruhe.
    „Die Dithmarscher halten unsere Fregatte für ein feindliches Schiff“, rief der König ihnen zu. Die Soldaten begannen, hektisch mit ihren Waffen zu hantieren, um ihre Musketen ebenfalls in Anschlag zu bringen.
    „Befehlen Eure Majestät, dass wir zurückfeuern?“,

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