Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Königsmal

Das Königsmal

Titel: Das Königsmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Burseg
Vom Netzwerk:
fühlte sich herrlich unter ihren nackten Füßen an. Vom Tanz des Meeres rund geschliffene Steine, einige Muscheln und lederne Algenstränge bedeckten den nassen Sand. Die Wellen hatten ein Muster in den Sand gezeichnet, einen Spiegel ihrer Existenz. Sie atmete tief ein und spürte, wie die kühle Luft in sie eindrang, bis sie jeden Winkel ihres Körpers zu besetzen schien. Sie hätte ewig so weiterlaufen können, als ob ihre Erleichterung sie bis nach Barl tragen könnte.
    Und doch spürte sie einmal mehr, dass sie jetzt nicht loslassen konnte. Noch immer schmerzte ihr der Arm von Christians eisenhartem Griff, und sie rieb sich die gerötete Stelle, bis die Haut prickelte. Nein, sie konnte nicht gehen. Seine Sorge um ihr Leben hatte ihrem Herzen einen Stoß versetzt, der die Sehnsucht nach anderem verdrängte. Sie wusste, nichts konnte dieses seltsame Band zwischen ihnen kappen – auch nicht die Angst um das Leben ihres Vaters und der Geschwister.
    Wiebke merkte, dass sich Tränen in ihren Augenwinkeln sammelten, und musste schlucken. Der kleine Waldemar lief auf sie zu und hängte sich an ihren Rock.
    „Wiebke, Wiebke, du hast die Dithmarscher bezwungen“, schrie er aufgeregt und hüpfte auf und ab.
    Auch Christian drehte sich um, lächelte kurz. Dann kam er zu ihr und neigte den Kopf.
    „Der Mut der Dithmarscher ist nichts gegen den deinen. Doch wenn du mir noch einmal eine so große Angst einjagst, werde ich dich persönlich an einen sicheren Ort bringen, an dem du keinen Unsinn mehr anstellen kannst, Mädchen“, sagte er leise, sodass nur sie seine Worte verstehen konnte.
    Dann drehte er sich um und folgte den Bauern, die den hohen Gästen auf dem nächsten Hof ein karges, aber wohlmeinendes Mahl zubereiteten. Bis zum Ende der Reise sprach der König kein Wort mehr mit ihr.
    In Flensburg erfuhr der König, dass die Kaiserlichen immer weiter nach Norden vordrangen. Aus Sorge um die Sicherheit seiner Familie schickte er seine Frau, die Kinder und ihr Gefolge gleich weiter nach Dalum, wo sie nach zwei weiteren beschwerlichen Reisetagen ankamen. Nach einigen Wochen folgte dann auch Christian nach Fünen – mit den kärglichen Resten des Heeres.
    Wiebke hatte gehört, dass der Drache des Krieges Elmshorn, Steinburg, Wilder und Rendsburg verschlungen hatte, auch Haseldorf und Breitenburg waren genommen worden. Die Städte lagen in der Nähe ihrer alten Heimat, und so fürchtete sie das Schlimmste. Das schlecht befestigte Breitenburg hatte sich sechs Tage lang verzweifelt gegen eine Übermacht von zehntausend Mann gewehrt, bis eine Kugel den Kommandanten getötet hatte. Als der Feind die Stadt stürmte, schonte er nur Frauen und Kinder. Alles Übrige wurde niedergemetzelt, das Schloss geplündert und die Bibliothek mit vielen kostbaren Handschriften zerstört.
    „Deutschland geht zugrunde“, hatte die Gräfin geseufzt und ihrer Zofe in einer plötzlichen Aufwallung von Mitgefühl über die Wange gestrichen. „Das ganze schöne Deutschland.“
    Doch ihre Mutter hatte dagegengehalten.
    „Noch ist es kein ruiniertes Land. Doch dieser furchtbare Krieg muss bald ein Ende haben.“
    In diesen Tagen hatte Wiebke sich ihrer Familie sehr nahe gefühlt, hatte beinahe pausenlos an sie gedacht, innerlich Gespräche mit ihrem Vater geführt, versucht, allein durch ihre Gedankenkraft Unheil von ihm abzuwenden. In ihrem Gepäck hatte sie nach den Steinen der Zigeunerin gesucht. Doch ihr seltsamer Schatz war und blieb verschwunden, sosehr sie auch danach suchte.
    War er beim Aufbruch in Stade liegen geblieben? Oder hatte sich die Zigeunerin ihr Eigentum zurückgeholt? So plötzlich und unerwartet wie sie jedes Mal aus dem Nichts aufgetaucht war, so schattengleich konnte sie sich sicherlich auch im Hauptquartier des Dänenkönigs bewegen. Es gab Momente, in denen Wiebke sich beobachtet fühlte – und gleichzeitig behütet. Sie spürte, dass es nicht allein Gottes Hand war, die sie beschützte.
    Wiebke legte sich wieder zurück auf das Laken und lauschte in die Dunkelheit. Die Kinder schliefen fest, selbst die Zwillinge schrien nachts kaum noch, wenn ihre kleinen Bäuche abends mit genug Haferbrei gefüllt worden waren. Sie kümmerte sich gern um die beiden Mädchen, die in ihren Spitzenkleidchen wie Engelchen aussahen. Doch sie merkte, dass die Erziehung der fünf Kinder und der Dienst bei der Gräfin allmählich an ihren Kräften zerrten. Hinzu kam die stetige Sorge um den König, der ihr von Tag zu Tag durchscheinender

Weitere Kostenlose Bücher