Das Kommando
Weg zu einer Sitzung im Weißen Haus fuhr Mitch Rapp über die Key Bridge. Er war angespannt und schlecht gelaunt, denn was er am Vormittag erfahren hatte, gefiel ihm ganz und gar nicht. Offenkundig waren die Flitterwochen vorüber. Noch keine vierundzwanzig Stunden war er in der Stadt, und schon hielt er Ausschau nach jemandem, dem er den Hals umdrehen konnte. Entgegen den strikten Anweisungen seiner Vorgesetzten hatte er seinen Leibwächter in Langley gelassen und fuhr selbst. Zwar hatte er in jüngster Zeit einige Morddrohungen bekommen, bei Licht betrachtet waren es sogar ziemlich viele, doch Gefahr hin, Gefahr her, er musste eine Weile allein sein, um in Ruhe nachdenken zu können, bevor er mit dem Präsidenten zusammentraf. Er hatte sich geschworen, jede Möglichkeit zu nutzen, die ihm seine neue, einflussreiche Stellung bot.
Diese neue Aufgabe hatte man ihm übertragen, weil ihn ein Abgeordneter hatte auffliegen lassen, sodass mittlerweile jeder Halunke zwischen Boston und Bagdad wusste, wer er war und wie er aussah. Der Kongressabgeordnete, der nichts von der CIA hielt, hatte bei einer Anhörung von Dr. Irene Kennedy, Rapps Chefin bei der CIA, dessen Tätigkeit als verdeckter Agent im Kampf gegen den Terrorismus enthüllt. Das Fernsehen hatte ihn als Amerikas erste Verteidigungslinie in diesem Kampf bezeichnet, zugleich aber sein Gesicht der Weltöffentlichkeit bekannt gemacht. Praktisch jede Zeitung im Lande hatte sich ausführlich über ihn verbreitet, und mehrere Zeitschriften hatten ihm sogar ihre Titelgeschichte gewidmet. Dieses Medienspektakel um seine Person ging ihm entsetzlich auf die Nerven, denn es lief all seinen Überzeugungen zuwider. Seit seinem zweiundzwanzigsten Lebensjahr hatte er ein Doppelleben geführt. Nicht einmal sein Bruder hatte gewusst, dass er für die CIA arbeitete. Da er jetzt, noch keine vierzig Jahre alt, zur öffentlichen Person geworden war, hatte man ihn ohne Umschweife von seiner früheren Aufgabe entbunden und ihm eine neue zugewiesen. Der dazugehörigen hochtrabenden Amtsbezeichnung nach war er jetzt ›Sonderbeauftragter der Direktorin der CIA in Fragen der Terrorismusbekämpfung‹.
Inzwischen war der Terrorismus auch in die Vereinigten Staaten gelangt, und es kam den Bürgern des Landes allmählich zu Bewusstsein, dass es Menschen gab, die sie hassten, Eiferer, die darauf bedacht waren, die Macht des Großen Satans zu brechen. Der Auftrag, den ihm Präsident Hayes und die Direktorin der CIA erteilt hatten, war klar umrissen. In enger Zusammenarbeit mit der Antiterrorzentrale der CIA sollte er zum einen gründlich erkunden, welche Möglichkeiten die Vereinigten Staaten hatten, den Terrorismus zu bekämpfen, und zum anderen Empfehlungen über die Art und Weise aussprechen, wie man ein diesbezügliches Vorgehen rationalisieren und Verteidigungsmöglichkeiten optimieren konnte. Als ersten Schritt hatte er dem Präsidenten empfohlen, zur Abwehr eines zu erwartenden Angriffs die Kräfte des Landes zu bündeln, doch sah es bislang nicht so aus, als wolle dieser seinem Rat folgen.
Kennedy, die Rapp besser kannte als jeder andere, mahnte ihn, sich zu zügeln und seine Zunge im Zaum zu halten. Sie empfahl ihm, die Sache einstweilen als Erkundungsmission aufzuziehen. Losschlagen könne er später immer noch, wenn er dem Präsidenten und dem Nationalen Sicherheitsrat seinen Bericht übergab. Das sei der richtige Zeitpunkt, seinen Standpunkt deutlich zu machen und die Dinge beim Namen zu nennen. Niemand wusste besser als sie, dass es dringend nötig war, die Wahrheit zu sagen.
Während seiner ausführlichen Untersuchung der Bemühungen Amerikas im Kampf gegen den Terror hatte Rapp gelernt, dass es zu viele Sitzungen gab, bei denen außer immer noch mehr bürokratischen Schikanen für die Leute, die in vorderster Front die wichtigen Aufgaben erledigten, nichts herauskam. In seinen Augen waren diese Sitzungen eine ungeheuerliche Vergeudung von Energie, Zeit und Geld. Nie begannen sie pünktlich, und stets dauerten sie länger als vorgesehen. Aber das war noch das kleinste der damit verbundenen Übel. Nachdem er über ein Jahrzehnt als verdeckter Agent der CIA im Ausland gearbeitet hatte, sah er die Dinge jetzt von der anderen Seite und begriff mit einem Schlag, warum so viele in Washington glaubten, der für Auslandsaufklärung zuständige Geheimdienst der Vereinigten Staaten erfülle seine Aufgabe nicht mehr.
In der Tat hatte sie sich zum genauen Gegenteil dessen entwickelt,
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