Das Kommando
Boden Palästinas noch erleben, inzwischen aber kam es ihm so vor, als wäre dieses Ziel in eine weitere Ferne denn je gerückt. Schon seit vielen Jahren hatte er davon geträumt, dass die Waffen zwischen Arabern und Juden schweigen würden. Ihm war klar, dass seine winzige Nation auf lange Sicht nur dann überleben konnte, wenn es gelang, eine aufrichtige und dauerhafte Freundschaft zu den benachbarten Völkern aufzubauen, doch in den letzten Jahren war jede Aussicht darauf geschwunden. »Ich glaube nicht, dass ich den Frieden noch erleben werde.«
Bei diesen Worten erkannte David aufrichtige Trauer in den Augen des Alten. Um ihn aufzumuntern, sagte er: »Vielleicht liegt er nicht so weit in der Zukunft, wie Sie glauben, Abe.«
Spielman schüttelte den Kopf. »Nein. Es gibt keine Hoffnung. Die Dinge stehen schlechter als zu irgendeiner Zeit seit dem Unabhängigkeitskrieg. Wenn sich halbwüchsige Mädchen Sprengladungen um den Leib binden und sich in aller Öffentlichkeit in die Luft jagen, haben wir ein Maß von Verzweiflung und Hass erreicht, wie es die Welt nur selten erlebt hat.«
»Nicht einmal unter den Nazis?«, fragte David mit leicht zweifelndem Unterton.
»Die Nazis waren herzlose Schlächter, die uns verabscheut haben, weil wir ihrer Ansicht nach unter ihnen standen.« Er schwieg eine Weile und setzte dann hinzu:
»Die Märtyrer, mit denen wir es jetzt zu tun haben, hassen uns mit jeder Faser ihres Wesens, sind aber zugleich überzeugt, dass wir die wahren Schuldigen sind, die Ursache für all ihre Schwierigkeiten.« Betrübt fügte er hinzu: »Schon vor Jahren habe ich mein Volk darauf hingewiesen, dass diese Lager eines Tages unseren Untergang bedeuten werden, aber niemand wollte auf mich hören. Offenkundig war man überzeugt, dass wir unser Geld besser für andere Dinge verwenden sollten.« Beim Gedanken an die Kurzsichtigkeit der Politiker verzog er das Gesicht. »Wer den Menschen alle Hoffnung nimmt und sie behandelt, als wären sie nicht besser als Tiere, als verdienten sie weder Achtung noch Mitgefühl, darf sich nicht wundern, wenn sie sich eines Tages wie ein Mann erheben und ihre Fesseln abschütteln. Das finden wir schon in der Geschichte unseres eigenen Volkes, das Moses einst aus Ägypten geführt hat.«
»Nur dass die Palästinenser bereits in ihrer Heimat sind«, fügte David hinzu.
»Genau. Sie werden nirgendwohin hingehen, denn sie wollen, dass wir verschwinden. Diese so genannten Märtyrer bringen ihnen zum ersten Mal einen Hoffnungsschimmer. Die Leute tanzen auf den Straßen, wenn unschuldige jüdische Frauen und Kinder umgebracht werden.«
»Töten nicht auch Ihre Panzer und Raketen unschuldige palästinensische Frauen und Kinder?«, hielt David dagegen.
Spielman sah den Jüngeren missbilligend an. »Sie werden aber keine Juden auf den Straßen tanzen sehen, wenn ein palästinensischer Säugling tot aus den Trümmern geborgen wird.«
David nickte. Es war eine widerliche Realität, dass sein Volk nicht nur mit rationalen Gründen den Mord an Zivilisten billigte, sondern jeden Toten feierte, als handelte es sich um eine Ruhmestat.
»Der Tag ist nicht mehr fern, an dem die Palästinenser ihren Staat bekommen. Israels Wirtschaft steht kurz vor dem Zusammenbruch. Der Tourismus hat deutlich abgenommen; nur noch wenige Besucher kommen ins Land. Ohne die Unterstützung Amerikas könnten wir höchstens noch eine Woche durchhalten. Ja, Jabril, Sie werden Ihren Staat bekommen, und dann wird es ein großes Blutvergießen geben. Jüdische Siedler werden sich weigern, die besetzten Gebiete zu verlassen, und die Heuchler, von denen sich Ihr Volk Führung erhofft, werden erst zufrieden sein, wenn ganz Palästina von jüdischem Blut gesäubert ist. Diese Todesspirale wird Jahre andauern.«
Betrübt schüttelte er den Kopf. »Und ich fürchte, dass meinem Volk mittlerweile die Kraft für einen solchen Kampf fehlt.«
David nickte nachdenklich. Alles, was der alte Mann sagte, deckte sich mit seiner Einschätzung. Das galt vor allem für die Gedanken, die er zuletzt geäußert hatte, und das war der eigentliche Grund für seine Anwesenheit. »Ich stimme vielem von dem zu, was Sie sagen, aber ich bin doch etwas zuversichtlicher als Sie.«
»Das Vorrecht der Jugend. Im Unterschied zu mir haben Sie noch viele Jahre vor sich. Im Lauf des vergangenen Jahrzehnts habe ich meinen Glauben an die Menschheit nahezu vollständig verloren, und ich fürchte, dass wir finsteren Zeiten
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