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Das Komplott der Senatoren (German Edition)

Das Komplott der Senatoren (German Edition)

Titel: Das Komplott der Senatoren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Anderegg
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zuvor hatte er den alten Mann mit seinem Spitzbärtchen besucht und sich prächtig mit ihm unterhalten. Er stellte sich vor und erklärte, warum er hier war, dann fragte er leise: »Ist er gestorben?«
     
    Der Mann zuckte hilflos die Achseln. »Es tut mir leid, ich kenne Ihren Herrn Wei nicht. Ich wohne erst seit drei Monaten hier. Vielleicht wissen die Wangs unten etwas über ihn.«
     
    Frau Wang war zu Hause. So kam es, dass er doch noch einmal seine alte Wohnung betrat. Die Frau erkannte ihn sofort, obwohl er kaum je ein Wort mit ihr gesprochen hatte. Sie b e grüßte ihn freudig, bot ihm Tee an und begann dann mit sorgenvollem Gesicht zu erzählen:
     
    »Es ist eine sehr traurige Geschichte mit Herrn Wei. Sie wissen, er ist zu alt und schwach, um noch zu arbeiten, aber sein Sohn, Tan, hat ihn immer unterstützt. Er hat die Wohnung bezahlt, damit sein Vater hierbleiben konnte, wo er immer gelebt hat.«
     
    »Er ist doch nicht gestorben?«, unterbrach Quan aufgeregt.
     
    »Nein, er lebt noch, aber er musste vor einem halben Jahr ausziehen. Es geht ihm nicht gut.«
     
    »Warum?«
     
    »Tan hatte einen schweren Unfall, Autounfall. Er ist lange im Spital gewesen. Jetzt ist er wieder gesund, aber inzwischen hat er seine Stelle verloren. Seitdem hält er sich mit G e legenheitsarbeiten über Wasser, verdient fast nichts. Es reicht nicht mehr, um auch noch seinen Vater zu versorgen. Es ist furchtbar.«
     
    Quan fiel aus allen Wolken. Er wusste nichts von all dem. Warum hatte Tan ihm nichts darüber geschrieben? Wahrscheinlich schämte er sich, obwohl ihn keine Schuld traf. »Was ist mit seinem Vater, wo wohnt er?«
     
    Die Frau seufzte tief, dass er fürchtete, sie würde gleich in Tränen ausbrechen. »Es ist furchtbar«, wiederholte sie traurig. Sie stand auf, ging ans Fenster und zeigte hinaus. »Dort oben auf dem Dach wohnt er jetzt.«
     
    »Auf dem Dach?« Er versuchte sich vorzustellen, was sie meinte, denn sehen konnte er kaum mehr etwas. Ihr Finger zeigte auf ein Haus gegenüber, ein altes Hochhaus aus den Siebzigern, vielleicht zwei Stockwerke höher als das Haus, in dem sie sich befanden. Bei diesem diffusen Licht konnte er nichts Ungewöhnliches erkennen.
     
    »Die Hütten. Das Dach ist voller Hütten. Leute, die sich keine Wohnung leisten kö n nen, h a ben sie aus Abfall gezimmert und leben dort oben. Jetzt ist Herr Wei auch einer von ihnen.«
     
    Dachhütten, ein Penthouse-Slum, wie eine Zeitung zynisch geschrieben hatte. Er wusste, dass es so etwas seit langem in Hongkong gab, wo die mittellosen Zuwa n derer und Tagelöhner sich auf den Dächern der Hochhäuser einnisteten, um den tri s ten Massenlagern mit ihren Käfigbetten zu entfliehen. Aber hier in Shanghai? Er ka n nte seine Stadt nicht mehr. Zuviel hatte sich verändert in den Jahren, seit er nach Paris und später nach Afrika gezogen war. Der vornehme alte Herr Wei in einem löchrigen Plastikverschlag auf jenem Dach, die Vorstellung erschütterte ihn.
     
    »Ich muss ihn sprechen«, murmelte er und verabschiedete sich eilig.
     
    Das Dorf in luftiger Höhe entsprach ganz und gar nicht seiner Erwartung. Zwar gab es die notdürftig aus bunten Kunststoffbahnen, verrotteten Brettern und zerschlissener Dachpappe zusammengeflickten Gebilde, die eher angeschwemmtem Treibgut als bewohnbaren Hütten glichen. Viele der Behausungen waren jedoch ordentlich gezimmerte und geradezu liebevoll gepflegte Häuschen, auch wenn die Dächer meist aus rostigen Blechen bestanden. Ein paar Bewohner hatten gar gewagt, ein zweites Stockwerk auf ihre Hütte zu bauen. Seine Suche nach dem alten Mann war schwieriger, als er angenommen hatte. Die Leute gingen ihm aus dem Weg, ve r schwanden sofort in ihre Hütten, wenn sie ihn sahen. Sie hatten Angst. Erst als er zwei spielende Kinder fragte, erfuhr er, wo Herr Wei wohnte.
     
    »Es ist schwierig, Sie zu finden«, sagte er lächelnd, nachdem sie sich begrüßt hatten. »Die Leute wollen nicht reden. Wovor haben sie Angst?« Der Alte strich sich nac h denklich über den schütteren weißen Bart, wie er es immer getan hatte, wenn er sich aufregte.
     
    »Sie fürchten jeden Tag, dass Beamte auftauchen, um das Dach räumen zu lassen. Vor zwei Jahren ist das schon einmal geschehen. Der Anblick hat Leute in den Nachbarhäusern gestört. Das Dach wurde damals gereinigt, wie es geheißen hat, aber es hat nicht lange gedauert, bis die Vertriebenen zurückgekehrt sind, wie du siehst, Quan.«
     
    »Ich verstehe, aber ist es

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