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Das Komplott der Senatoren (German Edition)

Das Komplott der Senatoren (German Edition)

Titel: Das Komplott der Senatoren (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Anderegg
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giftigen Atmosphäre. Ihm war, als hätte er sich ins letzte Refugium eines Endzeit-Planeten gerettet, und er schien nicht allein zu sein mit dieser Vorstellung. Es mussten Tausende sein, die in der Station Schutz suchten. Züge fuhren zwar, wenn auch sehr unregelmäßig, aber es gab kein Durchkommen. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie er unter diesen Umständen je in einen Wagen steigen sollte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in der Menge treiben zu lassen, zu drücken, zwängen und drängeln in der Hoffnung, irgendwann in die Nähe der Gleise zu kommen. Ohne die Stunde Schlaf auf der Fahrt hierher hätte er die Strapaze nicht übersta n den. Irgendwann auf dem unendlich langen Weg zur Linie 1 hätten seine Knie nachgegeben, und was dann mit ihm geschehen wäre, wollte er sich nicht ausmalen.
     
    Er konnte es kaum fassen, dass er schließlich doch noch in einem Wagen des Zugs stand. Ihn störte nicht mehr, dass sie auf der Strecke mehrmals minutenlang im Dunkeln steckenblieben. Er konzentrierte sich nur noch darauf, den Zug im richtigen Moment wieder zu verlassen, kein triviales Unterfangen bei diesem Chaos in allen Stationen. Es war Abend, als er endlich in einem Taxi saß, auf dem Weg zum Häuserblock, in dem er mit seinen Eltern gewohnt hatte. Stoßzeit, die Stunde, in der normalerweise die ganze Stadt auf den Beinen war, die Strassen verstopft von Autos, Motorrädern und einer Armee von Fahrrädern, doch sobald sie das Gebiet des Bahnhofs verlassen hatten, herrschte eine beinahe gespenstische Ruhe. Nur auf den großen Durchgangsstrassen wie der Neihuan stauten sich die Fahrzeuge. Das gleiche Bild, das er schon auf der Fahrt in die Stadt gesehen hatte. Das Licht der tiefst e henden Sonne färbte die Umgebung jetzt blutrot. Man sah kaum hundert Meter weit, von der berühmten Skyline war nichts mehr zu erkennen. Die Spitzen der nahen Hochhäuser verschwanden im stickigen Dunst der Marsatmosphäre.
     
    »So schlimm wie heute war es noch nie«, klagte der Fahrer.
     
    »Ist das nicht überhaupt der erste Sandsturm in Shanghai?«
     
    »Nein, es gab dieses Jahr schon drei oder vier, aber die waren jedes Mal nach einem Tag vorbei. Der hier ist viel dichter und soll die ganze Woche dauern, wenn die Pro g nosen sti m men. Viele Geschäfte bleiben geschlossen. Die Leute sollen zu Hause bleiben, haben sie im Radio gesagt.«
     
    »Sieht eher aus, als wollten alle aus der Stadt fliehen«, entgegnete Quan. Der Fahrer lachte bitter und meinte:
     
    »Wer es sich leisten kann, zieht aufs Land. Auch ohne Sand und Staub ist man den ganzen Sommer über fast erstickt. Kein Tropfen Regen, wochenlang kein Wind. Ich wäre auch längst weg, wenn ich könnte.«
     
    »So schlimm?«
     
    »Schlimmer. Man meint, die Welt geht unter.«
     
    Er gab dem guten Mann ein großzügiges Trinkgeld, stieg aus und betrachtete die ve r traute Fassade des betagten Apartmenthauses eine Weile nachdenklich, bevor er ei n trat. Er ignor i erte den neuen Aufzug, stieg zu Fuß die acht Stockwerke hoch, über die Treppe, die er früher unzählige Mal hinauf und hinunter gesaust war. Da war sie, seine Wohnungstür. Sie sah i m mer noch genauso aus, wie damals, als er sie vor seiner Reise in den Westen ein letztes Mal geschlossen hatte, selbst das Täfelchen neben der Tür schien noch dasselbe zu sein, aber es stand ein fremder Name darauf. Seit dem Tod seiner Eltern lebte ein Paar aus Korea in dieser Wohnung. Trotzdem kam er jedes Jahr hier vorbei, und jedes Mal wurde ihm warm ums Herz, denn dies war ein glücklicher Ort. Hier waren gute Geister zu Hause.
     
    Er setzte sich auf eine Treppenstufe, wartete lächelnd auf die Erinnerungen, bis sie wie bei all seinen Besuchen in leuchtenden Farben auftauchten. Er schaute lange zu, dann hörte er, wie über ihm jemand die Wohnung verließ. Das konnte nur Herr Wei sein, der Vater seines b e sten Freundes, mit dem er die Schule besucht hatte, um die Häuser gezogen war, die Mä d chen mit Knallfröschen erschreckt hatte. Freudig sprang er auf und stieg ins oberste Stoc k werk hinauf.
     
    »Herr Wei? «, rief er, bevor er sah, wer auf dem Treppenabsatz stand. Er stutzte, als eine unbekannte Stimme zurückfragte:
     
    »Wer sind sie?« Ein älterer Herr, der verblüffend einem seiner ehemaligen Lehrer glich, mu s terte ihn misstrauisch.
     
    »Entschuldigen Sie, ist Herr Wei da?«
     
    »Hier wohnt kein Herr Wei, junger Mann.«
     
    Quan traute seinen Ohren nicht. Noch ein Jahr

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