Das Komplott der Senatoren (German Edition)
Fäusten, Flaschen und Stöcken. Mitten drin ein älterer Mann mit eingefallenem G e sicht, das trotz seiner dunklen Hautfarbe grau anmutete, und Sayed, der aufgeregt in seiner Muttersprache auf ihn einredete. Ingo war beileibe kein ängstlicher Zeitgenosse. Groß, mit sportlich gestähltem Körper, brauchte er kaum einen Gegner zu fürchten, aber das hier waren keine Gegner. Es waren verzweifelte Frauen, Männer und Kinder, barfuss die mei s ten, spä r lich in Lumpen gehüllt, die ums nackte Überleben kämpften. Explosiv! Das Wort wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf. War es jetzt soweit? War das der Funke, der das Pulverfass vor seiner Haustür entzündete, der Naturkatastrophe eine weitere Tragödie hinzufügte? Die Lage geriet außer Kontrolle, und weder er noch seine M i tarbeiter, die hinter seinem Rücken die Köpfe zur Tür herausstreckten, wussten, was zu tun war. Er stand da wie gelähmt, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, bis es plötzlich ruhiger wurde und sich das menschliche Knäuel löste, um den Weg für Sayed und den Alten freizugeben. Erst jetzt bemerkte Ingo das abenteuerliche G e fährt, auf dem der Mann saß, ein rostiges Tuk-Tuk, das längst als Taxi au s gedient hatte. Die Passagierkabine war abmontiert, und auf der Ladefläche lag eine Bad e wanne, die auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Sayed ging dem seltsamen Fah r zeug voraus und steuerte kopfschüttelnd auf ihn zu.
»Darf ich dir Chandu, meinen Onkel vorstellen?«, sagte er mit verlegenem Grinsen. »Er hat von unserem Wunder gehört und ist den langen Weg von Aimury hierherg e fahren, um seine Wanne zu füllen.« Ingo unterdrückte ein befreiendes Lachen. Mit ernster Miene begrüßte er den Mann, der ihn sofort mit einem Gemisch aus Englisch und dem lokalen Dialekt zu bea r beiten begann. Er verstand von beiden Sprachen des Alten kein Wort.
Sayed fuchtelte mit den Händen bis sein Onkel sich beruhigte, dann schlüpfte er in die Rolle des Übersetzers.
Noch vor zwei Jahren warf das kleine Stück Land in den Hügeln bei Aimury dreißig Säcke Reis und fast tausend Kokosnüsse ab, sagte Chandu. Er war ein richtiger Farmer, beschäftigte zwanzig Leute während der Ernte, aber dann bauten sie diese Fabrik gleich nebenan, so groß wie zehn Kricketfelder. Ingo warf seinem Ingenieur einen fragenden Blick zu.
»Du wirst es nicht für möglich halten«, seufzte Sayed. »Es sind wieder unsere Freunde von Mamot, die dort eine gigantische Abfüllanlage hingestellt haben. O f fiziell gibt es keine Zahlen, aber man geht davon aus, dass die Fabrik täglich über eine Million Liter Grun d wasser aus großer Tiefe heraufpumpt, um ihre zuckersüßen Softdrinks zu produzieren.«
Er glaubte, nicht richtig verstanden zu haben. »Eine Million Liter – täglich?«, fragte er e r schüttert.
»So ist es. Du kannst dir leicht vorstellen, was das für die bescheidenen Wasserlöcher der Bauern in der Umgebung bedeutet.« Chandu nickte heftig und ein weiterer Wortschwall e r goss sich über seine beiden Zuhörer.
»Er sagt, seine Quellen seien die meiste Zeit des Jahres trocken. Im letzten Jahr hat er gerade noch vier Säcke Reis und hundert Kokosnüsse geerntet, und dieses Jahr sieht’s noch schli m mer aus.«
»Das – ist kriminell!«, rief Ingo entrüstet. »Warum schreiten die Behörden nicht ein?«
»Dreimal darfst du raten. Virender hat mir das erklärt. Mamot bezahlt lächerliche 800'000 Rupien, also etwa 17'000 Dollar für die Konzession, aber das entspricht einem Drittel des Jahreseinkommens der Gemeinde. So einfach ist das.«
Ihm wurde übel beim Gedanken an die verdorrenden Felder, die Menschen, die täglich kilometerlange Märsche und Fahrten auf sich nehmen mussten, um ein paar Liter Wasser zu beschaffen, die noch nicht zu versalzen waren, um davon zu trinken oder sich auch nur damit zu waschen. Und alles wegen eines skrupellosen multin a tionalen Konzerns, der mit ein paar lumpigen Dollars korrupte Beamte ruhigstellte. Zum Kotzen war das. Wut kochte in ihm hoch, doch gleichzeitig erkannte er die ei n malige Chance, die sich ihm und seinen Leuten bot. Dieses Dorf würde eine strat e gische Verteilstation in ihrem Tankwagenprojekt. Der G e danke gefiel ihm so gut, dass er zur Verblüffung Sayeds und seines Onkels laut auflachte. DT-Trinkwasser in Mamots eigenen Fahrzeugen vor die Tore ihrer Mammutfabrik karren und gratis an die Bevölkerung verteilen: die Ironie dieser Vorstellung hatte
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