Das Kopernikus-Syndrom
ihr versteht den Sinn meiner Geste. Wo auch immer ihr heute steht, in ihrem Lager oder in meinem, wir teilen denselben Ehrencodex, wir haben ihn beim Einsatz gemeinsam gelernt.
Achtung. Versteht es, zwischen den Zeilen zu lesen. Staffel belauscht uns. Hier, jetzt, überall, jederzeit. Er hört unsere Handys ab, unser Festnetz, sie folgen unseren Spuren, unseren Internetadressen, unseren Mails, unseren Kreditkarten, unseren Versicherungskarten, unseren Karten für die Autobahngebühren, den GPS-Signalen … Alle Mittel sind recht, um uns auszuspionieren. Sie haben meine Uhr mit Wanzen versehen und eine Kamera bei mir installiert. Also untersucht eure Wohnungen. Traut niemandem. Und seid wachsam, immer. Hier ist alles voller Symbole. Jede Zahl enthält eine geheime Bedeutung. Jedes Wort verbirgt ein Rätsel. Alles ist codiert. In allem liegt ein Sinn, den nur wir verstehen können. Wir sind nicht schizophren.
Sicher werde ich bei lebendigem Leib verbrennen, aber ich werde uns gerächt und ihren Manipulationen ein Ende bereitet haben. Ich werde der erste transkranielle Märtyrer sein. Ihr werdet euch an mich erinnern.
Ich werde den Turm zerstören.
Natürlich werden sie mir vorwerfen, dass Unschuldige umgekommen sind. Dass ich nur ein gewöhnlicher Terrorist sei. Aber niemand, der den Turm betritt, ist unschuldig. Das ist allgemein bekannt. Alle, die jeden Morgen hierherkommen, sind schuldig. In jeder Etage. Alle sind mit unserem unsichtbaren Feind verbunden. Ich stelle euch hier keine Liste auf, aber jede dieser Gesellschaften, jeder einzelne Arbeitnehmer ist mit der Dermod verknüpft. Die Verzweigungen der Krake reichen weiter nach oben, als ihr euch vorstellen könnt.
Jedes Mal, wenn ich zur Praxis Mater hinaufgehe, sehe ich es in ihren Gesichtern, in ihrem Blick. Sie beobachten mich, sie mustern mich. Sie wissen es. Sie wissen es, aber sie schweigen. Wie wir. Wir haben geschwiegen. Zu lange. Die Zeit ist gekommen, dieses Schweigen zu brechen.
Morgen werden es alle wissen.
Und wenn ich mit dem Turm fertig bin, gehe ich in den Bauch, ins Herz der Maschine, zu seinem wunden Punkt. Ich werde die Matrix zerstören. Unsere mörderischen Väter.
Und ich weiß, ihr werdet mich verstehen.
Denn die Zeit des zweiten Boten ist gekommen.
75.
Nach meinem Gespräch mit dem Pressechef von EPAD rief ich sofort Louvel an, um ihm die wichtigste Nachricht über den Zugang zum mysteriösen ›Bauch‹ der Grande Arche zu übermitteln. Ich empfand einen gewissen Stolz, weil ich es geschafft und ganz allein die Aufgabe, die ich mir gestellt hatte, zu Ende geführt hatte. Gar nicht so schlecht für einen Schizophrenen.
Nachdem Louvel mich eingehend beglückwünscht hatte, bat er mich, ein Taxi zu nehmen und geradewegs zu seiner Wohnung zu fahren, zu der er mir einen Schlüssel überlassen hatte. Dort sollte ich mich ausruhen. Wir würden die Untersuchung morgen weiterführen, versprach er mir. Damit war ich einverstanden, ohne es zu sagen, denn der Tag war anstrengend genug gewesen.
Gegen ein Uhr morgens, als ich vor dem großen Fernseher einzudösen begann, ging ich schlafen. Louvel war noch nicht da.
Am nächsten Morgen stellte ich fest, dass Damien gar nicht nach Hause gekommen war. Außer mir war niemand in der Wohnung. Mit bangem Herzen rief ich ihn an und hoffte, dass mit ihm alles in Ordnung war.
»Guten Morgen, Vigo, gut geschlafen?«
Seine Stimme verriet keinerlei Anspannung. Alles schien normal. »Wo sind Sie?«, fragte ich. Vielleicht enthielt meine Stimme sogar einen leichten Vorwurf.
»Nun, mein Alter, stellen Sie sich vor, ich bin immer noch im Büro. Wir haben die ganze Nacht geschuftet. Kommen Sie her, ich erkläre es Ihnen.«
Er legte sofort wieder auf. Ich frühstückte hastig und rief dann ein Taxi. Nach dem Hotel, nach Agnès' Wohnung und Nizza musste ich mich an einen neuen Lebensrhythmus gewöhnen. Das Nomadentum lag mir ja nicht besonders. Ich wollte unbedingt, dass alles bald endete. So oder so. Aber es war nicht der richtige Augenblick, an die Freuden eines neuen Lebens zu denken.
Gegen 9 Uhr betrat ich das Büro der Gruppe SpHiNx. Im Loft herrschte eine greifbare Spannung. Ich registrierte zwei Männer, die ich nie zuvor gesehen hatte. Sie trugen dunkle Anzüge und hatten breite Schultern. Einer der beiden, ein hochgewachsener Schwarzer, unterhielt sich mit Louvel. Die beiden wurden auf mich aufmerksam und kamen auf mich zu.
»Vigo, darf ich Ihnen Stéphane Badji vorstellen, den Freund, von dem
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