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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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und der leichten Verrücktheit von Louvel bestand.
    »Lucie«, sagte ich schließlich. »Warum machst du das alles? Ich meine SpHiNx. Was treibt dich dazu, welches Motiv?«
    Sie zuckte die Schultern.
    »Wie Sie, wie Damien liebe ich die Wahrheit.«
    Ich verzog den Mund.
    »Das allein kann es doch nicht sein.«
    Meine Frage schien sie zu überraschen, fast verlegen zu machen. »Wissen Sie … Wir haben alle einen Grund. Damien, Sak, Marc, ich … Und wir haben alle unsere eigenen Motive. Ich habe schon immer zu denen gehört, die sich engagieren. Louvel verspottet mich als großen revolutionären Teenie, und er hat nicht ganz unrecht …«
    »Wenn man damit beschäftigt ist, die Wahrheit über die Welt herauszufinden, ist das ein gutes Mittel, sie nicht bei sich zu suchen, ist es das?«
    Sie wiegte den Kopf hin und her.
    »Betreiben Sie jetzt Hausfrauenpsychologie? Aber ja, Sie haben recht, ein bisschen davon ist es schon.«
    Ich spürte, dass sie nicht mehr sagen würde. Ich stellte mir wieder meine Ängste vor, nicht kommunizieren zu können. Die chronische Unmöglichkeit, sich alles zu sagen, alles miteinander zu teilen. Vielleicht hatte das im Grunde genommen sein Gutes. Damit blieb etwas Raum für das Mysterium, für das Unerwartete. Jeder hatte einen Anspruch auf seinen Geheimgarten. Der meine lag brach.
    »Sie sollten sich ausruhen«, sagte Lucie schließlich und erhob sich. »Es gibt ein Bett für die Notfälle und sogar ein kleines Bad. Es ist nicht gerade luxuriös, aber immerhin. Und ich mache mich sofort an die Arbeit.«
    Ich nickte. Ich benötigte tatsächlich dringend Ruhe, und im Übrigen konnte ich ihr keine große Hilfe sein. Ich sah, wie sie sich in eine der Boxen zurückzog, und ging in das kleine Zimmer, das sie mir gezeigt hatte.
    Es war eine richtige Rumpelkammer, feucht, dunkel, mit alten Möbeln vollgestopft, mit kaputten Stehlampen, Büchern, Kartons … Ich versuchte, in der Dunkelheit dieses verlassenen Kellers Schlaf zu finden. Vergeblich. Ich war viel zu angespannt. Immer wenn mir die Augen zufielen, sah ich dasselbe Bild vor mir: die Waffe dieses Mannes auf mich gerichtet und meine Finger, die unfähig waren, den Abzug zu betätigen. Und dann dieses Gefühl, gemeinsam den Tod zu erleben. Den stellvertretenden Tod. Ein Spiegel, der zerbricht. Auch das war unaussprechbar, nicht mitteilbar. Und doch war ich es, der, der ich geworden war.
    Als ich begriff, dass ich keinen Schlaf finden würde, holte ich das Handy aus meiner Tasche, das Louvel mir gegeben hatte. Unentschlossen starrte ich auf das Display. Hatte es Sinn, es noch mal zu versuchen? Sollte ich sie nicht einfach vergessen? Warum sollte sie mir jetzt antworten? Und mit welchem Recht durfte ich sie stören? Sie hatte mich doch gebeten, sie nicht anzurufen.
    Mit übertriebener Langsamkeit tippte ich die zehn Zahlen von Agnès' Telefonnummer ein. Dann verharrte ich mit dem Daumen über der Taste, die die Verbindung herstellte. Was sollte ich ihr sagen, wenn sie sich meldete? Alles, was mir einfiel, klang lächerlich. Meine Beharrlichkeit, diese Hand, die man mir nicht reichte, zu ergreifen, grenzte ans Groteske.
    Ich stieß einen Seufzer aus und ließ das Handy auf die alte Matratze fallen. Ich schloss die Augen, aber unwillkürlich schossen mir Tränen in die Augen und rollten über meine Wangen. Sie flossen wegen Greg, wegen Agnès, wegen des Kindes, das ich einst gewesen war und über das ich nichts wusste, aber dessen Schmerz und Einsamkeit ich kannte. Als die letzte Träne auf meinen müden Wangen getrocknet war, fand ich endlich Schlaf.
79.
    Moleskin-Notizbuch, Anmerkung Nr. 211:
zweiter Auszug aus einer E-Mail von Gérard Reynald
    Transkranielle Augen, ihr fangt sicherlich an zu verstehen, das Ausmaß meines Plans, seinen geheimen Sinn, seine Motive, seinen Endzweck, seine Stichhaltigkeit. Aber ihr fragt euch vielleicht, warum er nicht einfach die Ermordung von Commandant L. mit einschließt. Der Vater unserer Väter, der heimtückische Mentor.
    Glaubt mir, ich habe es erwogen. Häufig. Tausendmal habe ich gesehen, wie ich diese letzte Kugel abgefeuert habe, mit meinem eingravierten Namen, wie ich diesem Mann das Leben genommen habe als Wiedergutmachung. Schließlich sind wir ihm das wohl schuldig.
    Aber es gelingt mir nicht, mich dazu durchzuringen.
    Denn trotz allem, was er uns angetan hat, trotz seines Verhaltens und der Erbitterung, die sich im Laufe der Jahre einstellte, habe ich schließlich Mitleid für Commandant L.

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