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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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empfunden. Glaubt mir, ich bin selbst darüber erstaunt. Niemals hätte ich mir vorstellen können, dass ich eines Tages für diesen Mann etwas anderes als reinen Hass empfinden könnte. Aber in gewisser Weise glaube ich, dass das Schlimmste, was ich ihm antun kann, Mitleid ist.
    Damals wussten wir nicht viel über ihn, er war Soldat, zurückhaltend, hart, ein typischer Vertreter der Armee. Aber nach und nach fand ich bei meinen Nachforschungen viele Dinge heraus, die ich gar nicht erfahren wollte.
    An dem Tag, an dem ich seine wahre Identität entdeckte, konnte ich in seine Vergangenheit eintauchen und Stück für Stück das Puzzle zusammensetzen. Und ich glaube, heute kann ich sagen, dass ich weiß, zumindest zum Teil, was ihn zu dem Abschaum werden ließ, den wir kennen.
    Im Leben dieses Menschen gibt es zwei aufschlussreiche Ereignisse. Das erste geht auf das Ende der fünfziger Jahre zurück.
    Commandant L. gehört zu der Generation von Soldaten, die man nach Algerien entsandt hat, wo sie die Revolution zerschlagen, Algeriens Traum von Unabhängigkeit zerstören sollten. Diese jungen Männer, denen man einredete, sie würden Frankreich verteidigen, die Werte der Republik, das übliche Geleiere. Vor Ort wurden sie mit der Wirklichkeit konfrontiert. Mit der Heftigkeit des Widerstands und den durchschnittenen Kehlen auf der einen und der Situation des algerischen Volkes auf der anderen Seite. Dieses kolonisierte Volk, dieses zerstörte Land, das der Autorität eines Generalgouverneurs unterstand und zwei Kategorien von ungleichen Bürgern hatte: die Franzosen und die Muslime, die keine politischen Rechte besaßen. Und auf die Gewalt reagierte man mit Gewalt. Der Wahnsinn, die Folter, die Massenhinrichtungen, die Massaker. Das ganze Räderwerk. Bei den Franzosen registrierte man 25.000 Tote, bei den Algeriern zwischen 450.000 und über einer Million, je nach Quelle. 8.000 verbrannte Dörfer, eine Million Hektar verbrannter Wälder und zwei Millionen Muslime, die in Umsiedlungslager deportiert wurden. Unter den jungen französischen Soldaten gibt es jene, die sich über diese grausamen Tatsachen empörten, und jene anderen, die es, wie Commandant L. vorzogen, weiterhin an diesen Krieg zu glauben und ihn als pflichtgetreue Soldaten blind gutzuheißen, statt zuzugeben, dass sie manipuliert worden waren. Sie verhüllen ihr Gesicht, wenn sie ihre Hände in Blut tauchen, wenn sie im Namen Frankreichs töten und mit der Ausrede, sie führten nur Befehle aus, die schlimmsten Grausamkeiten begehen. Außer denen, die dort waren, weiß niemand, was sie gesehen haben, was sie getan haben. Aber viele sind, genau wie er, völlig kaputt zurückgekehrt. Man kann gar nicht genug betonen, wie viel Unheil diese Kolonisierungen den einen wie den anderen zugefügt haben. Denen, die über ein Jahrhundert lang ausgebeutet wurden, denen, die man aufforderte, im Austausch gegen eine billige französische Staatsbürgerschaft auf ihre Kultur, ihre Religion und ihre Sprache zu verzichten, und jenen, die die Schachfiguren einer schlecht durchgeführten Entkolonialisierung waren. Frankreichs imperialistische Gier hat ein Land, Generationen von Algeriern und eine Generation französischer Soldaten zerstört, und einer davon ist Commandant L.
    Er ist als gebrochener Mann zurückgekehrt, wie jeder Mann, der gezwungen war, sich selbst zu belügen, um sich damit abzufinden, dass er ein Ungeheuer geworden war. Ich will ihn nicht entschuldigen. Dieser Typ ist der reinste Abschaum, zynisch und grausam. Ich werde ihm nie verzeihen. Aber ich versuche, ihn zu verstehen.
    Das zweite Ereignis war der Selbstmord seiner Frau Jahre später. Darüber weiß ich nicht viel. Nur dass Commandant L. der Beerdigung fernblieb.
80.
    Ich erwachte gegen 22 Uhr durch das Geräusch von Schritten auf der anderen Seite der Tür. Einen Augenblick lang verharrte ich bewegungslos, die Augen trotz der absoluten Dunkelheit weit aufgerissen. Ich war noch ganz erfüllt von der Erinnerung an meine Träume. Dann erkannte ich Louvels Stimme.
    Ich erhob mich und betrat, noch schlaftrunken, das große Wohnzimmer. Damien war mit Badji zurückgekehrt. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass uns der Leibwächter keine Sekunde von der Seite weichen würde, solange die Geschichte nicht beendet war.
    »Habt ihr die Nachrichten gehört?«, fragte Damien und schaltete in der Ecke des Wohnzimmers einen kleinen Fernseher ein. Er hatte einen neuen Verband und trug den Arm in einer

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