Das Kopernikus-Syndrom
das Gefühl, dass die Realität sich nicht mehr über mich lustig machte. Doch es war nicht der richtige Augenblick, wieder in den vertrauten Zweifel zurückzufallen. Und Louvel wollte mir vermutlich zu verstehen geben, dass wir später gemeinsam unsere Schlüsse ziehen würden. Ich fing an, ihn besser zu kennen. Er würde mich nicht einfach im Stich lassen. Und er vertraute mir. Er würde nicht zu dem Schluss kommen, dass die Stimmen in meinem Kopf nur auditive Halluzinationen waren. Nicht, bevor ich mich selbst damit abgefunden hätte. Im Augenblick mussten wir dieses Gebiet von allen Seiten beleuchten.
Ich gab ihm ein Zeichen, dass alles okay sei.
»Liéna, noch eine Frage. Weißt du, welche Frequenz bei der TMS angewandt wird? Und ganz konkret: Ist eine Frequenz von 88 Hertz üblich?«
»Es gibt verschiedene Arten der TMS. In den neunziger Jahren kam eine neue Generation von Magnetstimulatoren auf, die mehrere Reihen von Impulsen pro Sekunde liefern. Das habe ich vorhin schon mal erwähnt, das sind repetitive TMS. Man unterscheidet Niedrigfrequenz-TMS für Frequenzen unter 1 Hertz, und Hochfrequenz-TMS für Frequenzen, die bis 30 Hertz reichen können, wie es scheint. Aber 88 Hertz, nein, das nicht, ich glaube nicht, dass man je so weit gegangen ist.«
»Und wenn es jemand versucht hätte, was hätte das für Folgen?«
Die Wissenschaftlerin zuckte die Schultern.
»Ich habe keine Ahnung.«
»Glaubst du, es könnte Langzeitwirkungen haben? Irreversible?«
»Ehrlich, keine Ahnung.«
»Okay.«
Erneut trat Stille ein. Ich zündete mir eine Zigarette an, als ob mich das daran hindern könnte, allzu viel über die Fragen nachzudenken, die mich quälten.
Lucie erhob sich, brachte die Pizzakartons in die Küche und kehrte dann in ihr Büro zurück.
»Gut«, sagte Damien schließlich. »Gut, Liéna, ich glaube, das war's. Du bist wie immer genial.«
»Und du bist süß. Aber ihr müsst mir jetzt unbedingt verraten, warum ihr euch für TMS interessiert. Vielleicht bin ich indiskret, aber eure Fragen über die Armee und das alles. Das macht mich neugierig.«
Louvel schenkte ihr ein trauriges Lächeln. »Später, Liéna, später. Ich werde dir alles erzählen, versprochen.«
»Ach, du und deine großen Geheimnisse.«
Die Wissenschaftlerin stand auf. Ich zögerte. Es gab für mich immer noch eine Grauzone. Der Zweifel war zu groß. Ich musste es unbedingt wissen. Ich konnte nicht so einfach die Überzeugung aufgeben, dass die Stimmen in meinem Kopf keine Halluzinationen waren. Ich griff nach ihrem Arm und hielt sie zurück.
»Entschuldigen Sie … Ich würde Ihnen gern noch eine Frage stellen.«
Louvel runzelte die Stirn. Ich zog eine Grimasse und rang nach Worten, wie ich am besten formulieren sollte, was ich fragen wollte. Ich wollte nicht als Dummkopf dastehen.
»Ist … wie soll ich es ausdrücken?«
Die Wissenschaftlerin nahm wieder neben mir Platz. Ihr Blick sagte mir, dass sie verstanden hatte. Zum Teil wenigstens. Sie hatte begriffen, dass all das mich betraf. Vielleicht ahnte sie sogar, dass ich ein TMS-Versuchskaninchen gewesen war, wenn auch ein etwas spezielles.
»Ja?«
Ich war mir sehr wohl bewusst, wie ungeheuerlich das war, was ich sie fragen wollte. Doch ich musste es tun. Ich musste es unbedingt wissen. Ich musste sichergehen, dass wir tatsächlich alles Menschenmögliche erforscht hatten. Also versuchte ich es.
»Sie hatten uns erklärt, dass ein Magnetfeld die Neuronenaktivität verändert, nicht wahr?«, fragte ich mit unsicherer Stimme.
»Ja.«
»Gut. Aber … ist die Umkehrung richtig?«
Die Wissenschaftlerin blickte mich verständnislos an.
»Ich wollte sagen, erzeugt unser Hirn, wenn es aktiv ist, vielleicht ein Magnetfeld?«
Sie nickte langsam.
»Ja, gewissermaßen. Ein sehr schwaches … Um es deutlicher auszudrücken: Das Hirn sendet eine magnetische Signatur aus. Man kann sie übrigens mit einem Apparat messen, der MEG heißt, ein magnetisches Enzephalogramm, ein Apparat, der das Magnetfeld auf der Oberfläche des Schädels misst.«
»Also, das Hirn sendet ein Magnetfeld aus. Und umgekehrt aktiviert das durch die TMS hervorgerufene Magnetfeld die Neuronen des Hirns. Aber soll das heißen, dass das Hirn … wie soll ich es sagen? Dass das Hirn empfänglich für Magnetfelder ist, abgesehen davon, dass es selber welche aussendet?«
Liéna furchte die Stirn.
»Ich verstehe nicht ganz, worauf Sie hinauswollen, aber ja, das kann man so sagen. Zu Beginn der neunziger
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