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Das Kopernikus-Syndrom

Das Kopernikus-Syndrom

Titel: Das Kopernikus-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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Verlangen, Agnès in meine Arme zu schließen, für eine stille Stunde, in der man hofft, alle Versprechungen der Welt erfüllen zu können. Das Wepler erinnerte mich an ihren Blick. Es war für mich bereits ein Ort der Erinnerung. Ich sah uns beide mitten auf der Place Clichy auf dem Boden sitzen. Ich konnte mich nicht damit abfinden. Es war nicht möglich. Das Glück war viel zu kurz gewesen. War das der Charakter des Glücks, nur einen Augenblick zu dauern, gerade so lange, dass man sich daran erinnert und es bedauern kann?
    Nach dem sechsten halben Liter bedachte mich der Kellner mit einem mitleidigen Lächeln.
    »Mieser Tag?«
    »Auch nicht schlechter als gestern.«
    »Dieses Bier geht auf mich.«
    Ich dankte ihm mit einem Kopfnicken. Meine Lider waren schwer. Der Alkohol begann seine Wirkung zu zeigen.
    Gegen 22 Uhr, vielleicht etwas später, als ich mich bereits richtig betrunken fühlte, klingelte mein Handy. Im ohrenbetäubenden Lärm der großen Brasserie hörte ich es nicht gleich. Als ich endlich auf das Läuten aufmerksam wurde, griff ich in die Tasche und erkannte Agnès' Nummer auf dem Display. Mein Herz schlug heftig.
    »Agnès?«
    Nichts. Keine Antwort. Ich hörte lediglich ein starkes Atemgeräusch.
    »Agnès, sind Sie es?«
    Sie seufzte. Ja, sie war es.
    »Tut mir leid, Agnès. Tut mir aufrichtig leid … Ich hoffe, Sie sind mir nicht mehr böse.«
    »Wo sind Sie?«
    Ihre Stimme zitterte. Kein Zweifel: Sie weinte.
    »Nun … ich bin im Wepler.«
    Ein langes Schweigen folgte, unterbrochen von kaum wahrnehmbaren Schluchzern.
    »Darf ich zu Ihnen kommen?«, murmelte sie schließlich.
    Ich lächelte.
    »Aber ja, natürlich.«
    Sie beendete das Gespräch auf der Stelle. Ich schloss die Augen, ballte die Fäuste und grinste zur Decke. So hatte ich schon lange nicht mehr gegrinst, und das lag nicht nur daran, dass mir das viele Bier die Sinne vernebelt hatte.
    Eine Viertelstunde später tauchte Agnès auf. Sie trug einen langen weißen Mantel. Sie hatte ihr Makeup aufgefrischt, aber ihre Augen waren immer noch rot, und ihr Gesicht war verquollen. Ich stand auf und rückte ihr einen Stuhl zurecht. Sie nahm an meinem kleinen Tisch Platz. Ihre opalfarbene Kleidung unterstrich auf wunderbare Weise ihre bronzene Haut.
    »Geht's einigermaßen?«, erkundigte ich mich und setzte mich wieder.
    »Nein.«
    »Ist es meinetwegen?«
    Sie verdrehte die Augen.
    »Reden Sie keinen Unsinn. Natürlich nicht!«
    »Es tut mir leid wegen vorhin … Ich bin bei Ihnen mehr oder weniger eingedöst … Um genauer zu sein, ich hatte eine Panikattacke.«
    »Vigo, das macht nichts. Mir tut es leid, dass ich Sie so angeschrien habe. Ich bin im Augenblick ziemlich runter mit den Nerven.«
    Ich nickte und hoffte, es wirkte herzlich.
    »Agnès, was ist mit Ihnen los?«
    Sie zuckte die Schultern.
    »Das Übliche.«
    »Das Übliche? Sie machen Scherze. Ich sehe doch, dass Sie geweint haben.«
    »Luc hat seine Sachen geholt. Wir haben uns gestritten.«
    Ich verzog den Mund. Es war bestimmt nicht gerade eine meiner Stärken, eine Frau zu trösten. Und ich war nicht in der Verfassung, ein Risiko einzugehen.
    »Ich verstehe … Tut mir leid.«
    Mir fiel nichts Besseres ein.
    »Ich habe wirklich die Nase voll. Früher oder später läuft immer etwas schief. In Bezug auf Männer hatte ich noch nie eine glückliche Hand. Scheint eine Polizistenkrankheit zu sein.«
    Ich schwieg und begnügte mich damit, verständnisvoll zu blicken. Ich wäre außerstande gewesen, ihr einen Rat zu geben. Ich verstand nichts von der Liebe, und das einzige Beispiel eines Ehelebens, über das ich hätte reden können, wäre die wenig glückliche Beziehung von Marc und Yvonne Ravel gewesen, meinen unsichtbaren Eltern.
    »Seit zwei Jahren weiß ich, dass diese Geschichte zu Ende ist, und doch habe ich mich wie eine Verrückte daran geklammert. Ich mache jedes Mal den gleichen Fehler. Ich verstehe nicht warum … Als ob er sich in letzter Minute ändern würde. Obwohl ich ganz genau weiß, dass wir nicht zusammenpassen.«
    Sie zog eine Zigarette heraus, und ich reichte ihr mein Feuerzeug.
    »Wir Frauen sind alle gleich. Wir haben Angst, nichts Besseres zu finden, wir reden uns ein, dass alle tollen Typen schon vergeben sind. Im Übrigen laufen die tollen Typen nicht gerade massenweise herum. Und selbst die großartigen Männer fangen irgendwann zu spinnen an. Also redet man sich ein, dass man glücklich ist, man gibt sich zufrieden, macht Kompromisse, erträgt und

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