Das Krähenweib
richtig war, mich dem Goldmachen zu verschreiben und aus Berlin fortzugehen. Ich hätte weiterhin bei Zorn bleiben und vielleicht eines Tages seine Apotheke übernehmen können. Ich hätte meine eigene Apotheke eröffnen, A. heiraten und Frieden haben können.
Mein Freund Schrader wird das zweifelsohne tun, und ich bin mir sicher, dass er eines Tages zu den geachtetsten Bürgern der Stadt zählen wird. Er wird sich eine Frau suchen und Kinder in die Welt setzen und ein glückliches Leben führen. Aber wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich niemals ohne die Goldmacherkunst und meine Experimente leben könnte …
Schritte kommen den Gang hinauf. Wollen sie mich erneut prüfen? Haben sie Nachrichten für mich? Ist es gar Kunckel, der kommt, um mich hier rauszuholen?
Oder ist es eine Neuigkeit von diesem Dr. Pasch?
Als ich gestern vorgab zu schlafen und meine Wächter sich deshalb sicher fühlten, miteinander zu schwatzen, hörte ich, dass drei Männer, die um das Schloss geschlichen waren, Ryssels Wachen nur knapp entkommen sind. Man vermutet dahinter preußische Aufrührer, die versuchen wollten, mich, den Goldmacher, zu befreien.
Die Tür geht. Ich werde den Rest meiner Notiz vertagen müssen.
Böttger hatte sein Heft gerade unter seinem Hemd verborgen, als die Tür des Wachraumes geöffnet wurde. Die Männer, die eintraten, trugen staubige Röcke und Dreispitze auf dem Kopf. Sie wirkten, als seien sie in einer amtlichen Angelegenheit hier, und die Degen an ihrer Seite machten deutlich, dass ein Fluchtversuch keine gute Idee wäre.
Ach, Annalena, hast du mich vergessen?, dachte Johann, denn er hielt es für unwahrscheinlich, dass Kunckel ihm diese Männer gesandt hatte. Dazu sahen sie zu sehr nach einer offiziellen Eskorte aus, die der Kurfürst oder einer seiner Minister geschickt hatte. Immerhin würde er aus Wittenberg fortkommen, aber einem ungewissen Ziel entgegen. Der Kurfürst residierte in Dresden, ganz in der Nähe von Kunckels Landsitz. Vielleicht schaffte er es, eine zweite Nachricht aus seinem Gefängnis zu schmuggeln, damit sein Freund endlich etwas tat, um ihn zu befreien. Doch wie sollte er das schaffen ohne Annalena? Hoffentlich ging es ihr gut.
»Johann Friedrich Böttger?«, fragte einer der Besucher, gleich so, als wüsste er nicht längst um seine Identität. Hinter ihm konnte Johann zwei Gardisten und den Amtmann Ryssel erkennen. Offenbar hatte er die Männer hierher geführt.
»Der bin ich«, entgegnete Johann, worauf die Gittertür aufgesperrt wurde.
»Wir haben Order, Euch von hier fortzubringen.« Auf einen Wink des Fremden traten zwei seiner Begleiter vor und ergriffen Johann. So hart, wie sie ihn anpackten, fürchtete er, dass Ryssel dem Bestreben Röbers und des Leutnants nachgegeben hatte. Schließlich hatte er bisher nichts getan, um den sächsischen Kurfürsten gegen sich aufzubringen.
Doch wäre Röber dann nicht mitgekommen, um seiner Auslieferung beizuwohnen? Vielleicht erwartete er ihn unten mit einem spöttischen Grinsen auf dem Gesicht. Panik erfasste Johann und er überlegte verzweifelt, ob es nicht doch eine Möglichkeit gab zu flüchten. Aber wahrscheinlich warteten unten außer Röber auch noch andere Bewaffnete auf ihn.
»Wohin wollt Ihr mich bringen?«, fragte er schließlich mit erzwungener Ruhe. Immerhin war es möglich, dass er voreilige Schlüsse zog.
»Das werdet Ihr noch früh genug erfahren«, gab der Fremde zurück. »Aber Ihr könnt sicher sein, dass Euch nichts geschehen wird.«
Die Männer führten ihn aus der Zelle in den Wachraum. Die einzige Formalität, die noch erledigt werden musste, war die Übergabe eines Schreibens, dessen Inhalt er wohl nie erfahren würde. Dann brachte man ihn aus dem Turm.
Zu Johanns großer Erleichterung warteten vor dem Schloss keineswegs Röber und die Preußen. Vielmehr stand der sächsische Leutnant Albendyll, der ihn während seiner Haft einmal besucht hatte, neben einer schlichten Kutsche, an der keinerlei Wappen angebracht waren.
»Steigt ein!«, befahl ihm der Fremde, und im nächsten Moment fand er sich im Kutschenschlag wieder. Die anderen Männer setzten sich zu ihm, umringten ihn regelrecht wie Jagdhunde ihre Beute. Dann gab man dem Kutscher das Zeichen, dass es losgehen sollte.
Während der morgendliche Nebel um die Häuser kroch, preschte die Kutsche durch die menschenleeren Gassen Wittenbergs, der Stadt, von der Johann sich so viel versprochen hatte. Jetzt würde er sehen müssen, wohin ihn
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