Das Krähenweib
Kunckel, ist er hier?«
Die Diener nickten einhellig, worauf sie aus dem Sattel sprang und durch die Tür stürmte. Offenbar war der Hausherr erst vor wenigen Augenblicken von seiner Reise zurückgekehrt, denn er stand noch in der Eingangshalle.
War er jetzt erst in Wittenberg?, fragte sich Annalena erbost. Immerhin sind schon etliche Wochen vergangen, seit ich bei ihm vorgesprochen habe.
Kunckel blickte sie überrascht an, dann sagte er: »Der Kurfürst hat ihn nach Dresden geschafft. Ich komme gerade von dort, aber man hat mir nicht sagen wollen, wo er untergebracht wurde.«
Annalena erstarrte. Sie hatte es ja eigentlich schon gewusst, und trotzdem spürte sie das Erlöschen der Hoffnung schmerzhaft.
»Ich nehme an, dass sie ihn im Schloss versteckt haben. Jedenfalls meine ich, so eine Andeutung in den Worten des Kreisamtmannes Ryssel vernommen zu haben«, fuhr Kunckel fort. »Es ist natürlich der beste Ort, um jemanden Tag und Nacht bewachen zu lassen. Nur die Feste Königsstein wäre dafür noch besser geeignet, aber wahrscheinlich will August Johann vorerst nicht in Ketten legen lassen.« Er schnaubte spöttisch. Es war deutlich, wie aufgebracht er war. »Ich nehme an, dass August erst versuchen wird, seine Freundschaft zu erringen, und ihm trotz verschlossener Zimmertür vorgaukelt, dass Johann ihm mit seiner Arbeit einen persönlichen Gefallen tut. Als ob …« Kunckel stockte, als wäre ihm auf einmal klargeworden, dass solche Worte ihn in den Kerker bringen könnten.
»Du hast dich gemacht«, sagte er dann zu Annalena, als er ihres feinen Kleides gewahr wurde. »Hast du eine Anstellung in Dresden bekommen?«
»Ich diene der königlichen Mätresse«, entgegnete Annalena und strich verlegen über ihr Kleid und ihren Mantel. Wieso antwortete sie bloß auf etwas so Unwichtiges? Johann war in Dresden, sie mussten doch irgendetwas tun. Aber sie konnte kein einziges Wort herausbekommen.
»Nun, wenn das so ist, dann hast du vielleicht bald Gelegenheit, Johann zu sehen«, entgegnete Kunckel. Sein Blick war schmerzerfüllt, er sah aus wie jemand, der seinen Sohn verloren hatte. »Vielleicht könntest du ihm dann erzählen, dass ich es versucht habe? Dass ich ihn aus dem Wittenberger Schloss rausholen wollte, ihn aber nicht mehr angetroffen habe?«
Annalena wollte einwenden, dass sie so schnell ganz sicher nicht auf Johann treffen würde. Doch weil seine Miene so verzweifelt wirkte, antwortete sie: »Ich werde es ihm ausrichten, wenn ich ihn sehe.«
Unvermittelt fasste Kunckel sie daraufhin bei den Armen, und Annalena konnte nur allzu deutlich spüren, dass seine Hände zitterten. »Er ist wie ein Sohn für mich, verstehst du? Ich habe davon geträumt, einmal Seite an Seite mit ihm zu arbeiten. Aber darauf darf ich jetzt wohl nicht mehr hoffen.«
Annalena hörte deutlich, dass in seinen Worten noch etwas anderes mitschwang. Er war nicht nur traurig, weil Johann jetzt Gefangener des Kurfürsten war, er trauerte auch darum, dass er vermutlich nie hinter das Geheimnis der Goldmacherei kommen würde.
»Ich verstehe Euch«, sagte sie, konnte ihre Enttäuschung aber nicht verhehlen. Röber war nun ihre einzige Hoffnung. Was für ein furchtbarer Gedanke!
»Es tut mir leid, dass ich euch beiden nicht helfen konnte«, sagte er schließlich. »Wenn es eine Möglichkeit gibt, wie ich euch unterstützen kann, dann gebt mir Bescheid. Ich werde hier sein und über meinen Studien zu vergessen suchen, dass ich ihn im Stich ließ.«
Vielleicht gibt es etwas, das Ihr tun könnt, schoss es Annalena plötzlich durch den Sinn. Ihr könntet mir helfen, Röber auszutricksen. Doch dazu muss ich erst einmal erfahren, was er vorhat.
Sie verabschiedete sich also mit dem Versprechen, ihn zu benachrichtigen, wenn ihr etwas zu Ohren käme. Dann machte sie sich wieder auf den Weg nach Moritzburg, denn der Morgen war nicht mehr fern.
August lag wieder einmal wachend neben der schlafenden Fatime und betrachtete sie. Sie wirkte noch immer ziemlich mitgenommen. Ihre Haut war blasser als sonst und dunkle Schatten zogen sich um die Augen. Er hatte seinen Leibarzt Haberkorn angewiesen, gleich am nächsten Morgen nach ihr zu schauen, ihm allerdings die Vermutung der Magd verschwiegen. Wenn Fatime schwanger war, würde es der Medikus auch ohne diesen Hinweis herausfinden.
Zärtlich strich er über ihr Haar. Ein Kind. Ihrer beider Kind. Er fragte sich, wie es aussehen würde. Bekäme es die Farbe ihres Haars und ihrer Haut, den Schnitt
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