Das Krähenweib
Sie schienen auf ein Zeichen von Röber zu warten. Dieser ließ sich allerdings Zeit. Als wollte er irgendeinen Triumph auskosten, ließ er seinen Blick gierig über ihr Gesicht und ihren Körper gleiten, und Annalena überkam das verzweifelte Verlangen, herumzuwirbeln und aus der Tür zu laufen. Röber wird dich betrügen, schrie es in ihrem Verstand, doch bevor sie handeln konnte, war der Mann, der sie hierhergeführt hatte, hinter ihr und hielt sie fest.
»Bindet sie«, beschied Röber derweil, ein Urteil, das wohl schon festgestanden hatte, bevor sie den Raum betrat. »Und sagt diesem Ungetüm Bescheid. Er kann sie haben.«
Angst schnürte ihre Kehle zu und ihr Herz begann zu rasen. Annalena wehrte sich mit aller Kraft gegen den Mann hinter ihr, sie schlug, trat, versuchte zu beißen. Doch der zweite kam ihm zu Hilfe, und zusammen waren die Männer erst recht stärker als sie.
»Nein!«, kreischte sie, doch da hielten sie ihr auch schon den Mund zu und zerrten sie zu einem Stuhl.
Annalena überließ sich ihnen trotzdem nicht kampflos. Während die Angst in ihrem Bauch wütete wie ein wildes Tier, während der Puls in ihren Ohren donnerte und sie gegen das Zittern in ihren Gliedern ankämpfen musste, versuchte sie weiterhin zu kratzen und zu treten. Vergebens. Brutal wurden ihr die Hände nach hinten gerissen und gefesselt. Gleiches taten die Männer mit ihren Beinen, und ein Tuch verschloss ihren Mund. Nachdem sie ihr auch noch ein Seil um die Taille geschlungen hatten, das sie mit der Stuhllehne verband, betrachteten die Preußen zufrieden ihr Werk.
Röber grinste und beugte sich vor, um Annalena noch einmal ins Gesicht zu sehen. Er wollte seine Rache diesen letzten Moment lang genießen. Obwohl Todesangst in ihr wütete und Tränen in ihre Augen schossen, funkelte sie ihn zornig an.
Doch Röber ließ sich davon nicht beeindrucken. Fast zärtlich streichelte er ihren Busen und seine Stimme war sanft, als er sagte: »Du hast doch nicht wirklich gedacht, ich würde dir nach allem, was vorgefallen ist, eine Belohnung zuteilwerden lassen.«
»Fahr zur Hölle!« Die Worte waren wegen des Knebels undeutlich, doch Röber verstand sie anscheinend.
»Ich lasse dir den Vortritt, Hure. Ich bin mir sicher, dass du schon vor deinem Tod die Hölle erleben wirst.« Damit richtete er sich auf und wandte sich an die Spione. »Meine Herren, ich denke, wir sollten aufbrechen, die Vorbereitungen werden uns Zeit und Mühe kosten. Ach ja, und sagt unserem Mann, dass er keine große Sauerei veranstalten soll. Es muss alles diskret über die Bühne gehen.« Damit wandte er sich noch einmal Annalena zu, und die Boshaftigkeit in seinem Blick versprach ihr ein schlimmeres Schicksal als den Tod.
Die drei Männer nahmen ihre Mäntel und verließen den Raum. Der Schlüssel wurde von außen im Schloss herumgedreht. Wenn sie dieses Geräusch das nächste Mal hörte, würde es ihr Henker sein, der zu ihr kam.
Annalena wusste, dass ihr letztes Stündlein schlagen würde, wenn sie es nicht schaffte, aus den Fesseln herauszukommen. Die Furcht vor dem Tod lähmte sie beinahe, aber ihr Lebenswille setzte sich durch. Wie viel Zeit ihr noch blieb, wusste sie nicht, aber sie würde hier nicht einfach auf ihr Schicksal warten.
Da sie wegen des Knebels nicht um Hilfe schreien konnte, ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen, auf der Suche nach etwas, womit sie vielleicht ein Stück der Fessel durchtrennen könnte. Eine Waffe hatten die Preußen ihrem Handlanger nicht dagelassen, wahrscheinlich verfügte er über seine eigenen Messer. Eine unangenehme Erinnerung an Mertens’ Dachboden überfiel sie, doch sie schob sie beiseite. Sie zerrte an ihren Fesseln, doch die Männer hatten gute Arbeit geleistet. Sie gaben kein bisschen nach.
Schließlich blieb ihr Blick an der Kerze hängen, die in einem Leuchter auf dem Tisch stand. Die Kerze war nicht mehr besonders groß, bestenfalls brannte sie noch eine Viertelstunde, wenn ein Luftzug sie nicht vorher löschte. Sie könnte ihre Fesseln verbrennen. Das würde zwar schmerzhaft werden, war aber ihre einzige Option. Nur wie sollte sie zum Tisch und damit zur Kerze gelangen?
Plötzlich kam ihr etwas in den Sinn. Den wenigen Bewegungsspielraum, den sie hatte, nutzte sie, um ihr Gewicht nach vorne zu verlagern. Es reichte noch nicht, um auf die Füße zu kommen, doch als sie vorsichtig kippelte, gelang es ihr. Wären ihre Beine nicht zusammengebunden gewesen, hätte sie laufen können, so musste
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