Das Kreuz der Kinder
strecke
dem schlecht beratenen Niklas seine hilfreiche Hand hin.
Dankbar küßte sie der ›Heiler‹.
Als nächstes lud der Wohltäter die kleine Delegation in
seinen Palast, denn eine Herberge in Trastevere sei nicht
der angemessene Rahmen für den Anführer einer
großartigen Glaubensbewegung, die man nur ins rechte
Licht rücken müsse. Niklas bezog prächtige Gemächer,
auch die beiden Marien wurden großzügig versorgt, mit
getrennten Schlafzimmern, ausgestattet mit erlesenem
orientalischen Geschmack, seidebezogene, breite Lager
eingehüllt in Duftwolken von Amber und Myrrhe, ein
schwüler Hauch von Luxus wie ihn weder die herbe
Styrum noch die schüchterne Miriam bislang erfahren
hatten. Jeder Raum verfügte auch über ein riesiges
Caldarium, alles aus weißem Marmor, und aus den
bronzenen Hähnen sprudelte warmes Wasser in die
Wanne. Junge Nonnen umsorgten die Damen, streuten
Rosenblätter, träufelten kostbare Essenzen, hüllten sie
nach dem Bad in weiche Tücher und kleideten sie neu ein.
Beim anschließenden Nachtmahl wurde Daniel
geschlachtet. Der Inquisitor schlitzte dem Abwesenden
mit scharfen Schnitt den Bauch auf, mit der kühlen
Anklage, der Legatus habe mit seinem zögerlichen, von
Mißtrauen durchtränkten Verhalten die Ehre der
gutwilligen Kaufleute verletzt, die nun keine Lust mehr
verspürten, noch irgendwelche Anstrengungen zu
unternehmen, um Tausenden von fremden Kindern den
Weg ins Heilige Land zu ermöglichen.
Stück für Stück entnahm der Chirurgos im
Priestergewand dem noch warmen Leib die Eingeweide:
Das Herz des Daniels sei von Machtgelüsten zerfressen,
die Leber von Neid und Eigenliebe. Er, der geplagte
Monsignore, müsse jetzt zusehen, wie er entweder die
beiden Gutmenschen versöhne oder Ersatz heranschaffe,
denn auch mit dem Segen des Papstes – das war an die
Adresse des Niklas gerichtet – müßten immer noch reale
Schiffe bereitstehen, um einen solchen Transport tatkräftig
durchzuführen. Die Kirche habe noch nie für Kreuzzüge in
ihr Säckel gegriffen! Männer, die bereit seien, um der
großen Sache willen, derartige Opfer auf sich zu nehmen,
seien rar, man dürfe sie nicht mutwillig vor den Kopf
stoßen. Er stopfte das Gedärm in den offenen Leib Daniels
zurück. Wer für Gottes Lohn seine Hilfe anböte, müsse
wenigstens Lob und Ehr, nicht aber puren Undank
erwarten dürfen!
Der Heiler war tief bestürzt über die offenbarten
schlimmen Machenschaften seines Legatus, dem er blind
vertraut hatte. Die Styrum – weiß Gott der Gerechte! –,
kein Parteigänger des Legaten, war dennoch willens, nicht
alle Schuld auf das Schlachtopfer Daniel zu häufen, denn
wie auch immer der gefehlt hatte, die beiden Kaufleute,
die sich zu Pisa präsentiert hatten, waren weder Engel
noch Ehrenmänner! Das mußte mal gesagt werden, doch
die Styrum brachte kein Wort heraus, kalter Schweiß
perlte auf ihrer Haut, die sich mit rötlichen Flecken
überzog, sie rang keuchend nach Atem, Schaum trat vor
ihren Mund. Gilbert de Rochefort sprang auf – mit gut
gespieltem Entsetzen rief er aufgeregt nach einem Arzt,
der, wie der Zufall es so fügt, auch schnellstens zur Stelle
war. In der Zwischenzeit bemühte sich Miriam um die
Unglückliche, betupfte ihre Stirn mit nassen Tüchern,
während Niklas in dumpfer Erregung alle Möglichkeiten
schrecklicher Erkrankungen aufzählte, von schwarzer Pest
bis zur Cholera, von der gemeinen Rotsucht bis zu den
fleckigen Pocken – nur auf das Naheliegendste kam er
nicht: Gift!
Miriam hingegen überlegte nur, ob es dem Badewasser
der Styrum beigegeben oder erst jetzt bei Tisch mit dem
ersten Getränk verabreicht worden war. ›Armin‹ war der
spontane Wunsch abgeschlagen worden, ihre Wanne mit
der Freundin zu teilen, mit der windigen Begründung,
deren Wasser sei schon eingelassen und wohl temperiert.
Miriam war die Vereitelung nur recht gewesen, so konnte
sie sich von den warmen Wellen umspielen lassen, ohne
daß ständig die flinken Finger ›Armins‹ sie tastend
bedrängten. Der Inquisitor hatte auf jeden Fall seine Hand
im Spiel. Miriam glaubte sich zu erinnern, daß sie sich
beobachtet fühlte, als sie allein unter Rosenblättern in
ihrer Wanne lag – auch waren die jungen Nonnen
eingetreten, kaum daß sie sich aus dem Wasser erhoben
Die stöhnende Styrum wurde auf einer Bahre
hinausgetragen und ins nächste Hospital verbracht. Der
weißhaarige Herr, ein jüdischer Gelehrter, der sie
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