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Das Kreuz der Kinder

Das Kreuz der Kinder

Titel: Das Kreuz der Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Berling
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mit
besorgtem Gesichtsausdruck untersucht hatte, indem er ihr
nachdenklich in den Rachen schaute, eingehend ihre
Pupillen studierte, murmelte eine Kaskade lateinischer
furchterregender Ausdrücke, um dann zur Diagnose zu
gelangen, daß alles halb so schlimm sei, aber seine gute
Zeit brauche. Damit hatte der Monsignore die Störerin
seiner Pläne für eine absehbare und zu nutzende
Zeitspanne aus dem Weg geräumt.
    Das kaum begonnene Abendessen wurde fortgesetzt,
wenngleich die aufgetischten Köstlichkeiten römischer
Küche Miriam nicht mehr munden wollten – was wußte
sie, welches Velenum für sie vorgesehen war? Vielleicht
schon in ihrem Körper seine Wirkung entfaltete? Niklas
war der Vorfall auf den Magen geschlagen. Er mußte
speien – dem Duft nach zu urteilen hatte er sich auch in
die Hosen geschissen!
    Gilbert de Rochefort überging die Peinlichkeit und
animierte Miriam, wenigstens bei den geeisten Früchten
und dem zuckrigen Naschwerk zuzulangen, auch ließ er
Malvasier und Nußgebackenes reichen, so lange bis sie
schon aus Höflichkeit ihren Widerstand aufgab.
    Miriam fiel auf ihr Bett und ohne Verzug in tiefen Schlaf
– wüste Träume suchten sie heim. Aus der Wandtäfelung
löste sich eine riesige Fledermaus, die ihre schwarzen
Flügel über sie breitete, sie spürte nicht das Gewicht des
Unholds auf sich lasten, nur ein Brennen zwischen den
Schenkeln, ein Feuer, das der Vampir in ihrem Schoß
entfachte, so ganz anders als die kleinen scharfen Zähne
der Styrum es vollbrachten. Miriam wollte schreien, aber
die unhörbaren Töne bewirkten nur ein Beben ihres
Beckens, unbeirrt hoben und senkten sich die dunklen
Flügel – das Tier saugte alles Leben aus Miriams weißem
Leib, sie wurde starr und dachte, so ist also der Tod. Sie
sah alles, konnte sich aber nicht bewegen, ihrem Mund
entschlüpften keine Worte. Im Schein einer Kerze saß der
Inquisitor am kleinen Tisch neben ihrem Bett und las in
seinem Brevier. Dann klappte er es langsam zu, schaute
sie aus brennenden Augen an, und sie hörte ihn sagen, das
nächste Mal wünsche er sie wie eine Nonne gekleidet, nur
mit gestärkter Haube und dem Cingulum um die Hüfte.
Dann blies er die Kerze aus, und ihr Zimmer versank
wieder ins Dunkel.
    Es dauerte lange, bis sie begriff, daß ihre Glieder ihr
nicht mehr den Dienst versagten. Miriam zog einen
scharfen Moschusgeruch durch die Nase, vermischt mit
Weihrauch und Myrrhe, sie erkannte den Raum im fahlen
Licht des Mondes und sprang auf. Das Wachs der Kerze
war noch warm. Sie tastete sich vor bis an die Wand, ihre
Fingernägel glitten prüfend über die Holztäfelung. Sie
fand, was sie suchte, die Tür in der Täfelung gab lautlos
nach. Miriam stand zwischen den kühlen Mauern des
Palastes. Sie folgte den Stimmen, die sie nicht weit von
sich deutlich vernahm. Ein schmaler Lichtschein führte sie
bis zu einem Guckloch hoch in der Stirnseite des
Arbeitszimmers. Nur auf Zehenspitzen gestellt konnte sie
einen Blick hinunter erhaschen.
    Das Antlitz der Dame, die Monsignore Gilbert de
Rochefort gegenübersaß, wirkte ihm wie aus dem Gesicht
geschnitten, auch in ihrer hochfahrenden, wenn nicht
hochmütigen Art stand sie ihm in nichts nach. Miriam
verwirrte der Inhalt des Gesprächs, weil sie nicht sofort
begriff, welche Argumente da zwischen den beiden auf
das heftigste vertreten wurden. Es flogen Worte, deren
dunkler Sinn sich ihr nicht erschloß. Doch nachdem der
Inquisitor die Dame in seiner sarkastischen Art ›Marie,
liebstes Schwesterlein‹ genannt hatte, sah Miriam sich in
der Lage, das Gehörte zuzuordnen.
    MARIE:
Mir ist durchaus bewußt, daß sich Eure
eigentliche Tätigkeit hinter dem Rock des Inquisitors
verbirgt, das Schandbare als Deckmantel für das
Ungeheuerliche!
    GILBERT:
Die ecclesia catholica mißt ihren
Selbsterhalt nicht mit Eurer Ketzermoral! Abertausende
von Entwurzelten, Haltlosen und Herumtreibern gefährden
nicht nur die gesellschaftliche Ordnung, sondern laufen
Gefahr, den Einflüsterungen Eurer Freunde, der Katharer
und Waldenser, zu erliegen. Stellt Euch vor, der
Heereszug von Saint-Denis wäre nicht nach Marseille und
aufs Meer ausgerichtet worden, sondern in Carcassonne
oder Toulouse gelandet?! Welcher Triumph für die Feinde
der Kirche!
    MARIE:
Welche Schande nimmt sie dafür auf sich! Die
beiden Schacher, nicht Christus am Kreuz, scheinen mir
die wahren Patrone der römischen Amtskirche! Herodes,
der die Kinder erwürgen

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