Das Kreuz der Kinder
mögt: Ich habe den Ring nicht!«
Ihre Worte prallten gegen eine eisig schweigende Runde.
»Wirklich nicht!« beschwor Elgaine jetzt schon wesentlich
kleinlauter die starren Masken. »Ich schwöre es bei der
Heiligen Jungfrau Maria!«
Jetzt endlich ergriff der das Wort, den sie sofort an der
Stimme als Gilbert de Rochefort erkannte. »Wer fragt
denn nach dem Ring?!« spottete er. »Uns ist durchaus
bekannt, wer ihn zur Zeit trägt.«
Er hüllte sich in Schweigen, um seine Worte auf die
junge Frau wirken zu lassen, dann setzte er unvermittelt
hinzu: »Dieser Palast beherbergt einen Verräter des
christlichen Glaubens als Gast der ahnungslosen
katholischen Königin –.«
Elgaine begriff sofort, daß vom Chevalier Armand de
Treizeguet die Rede war, sie stellte sich aber dumm und
ließ den Sprecher fortfahren. »Von Euch, Elgaine
d’Hautpoul, erwarten wir, daß Ihr Euch bedingungslos unserem Verlangen fügt, den besagten Gast der Königin –.«
»Warum sollte ich?!« entfuhr es der aufgebrachten
Elgaine, »meiner Königin einen Tort antun?!«
Die Antwort kam schneidend. »Das tatet Ihr schon in
jener Nacht vor Konstanz!«
Die Stimme des Kapuzenträgers blieb dabei eiskalt.
»Vergleichsweise Geringes wird dafür heute von Euch
erwartet, hört gut zu, Elgaine d’Hautpoul: Jedesmal wenn
der besagte Gast seine streng bewachten Gemächer
verläßt, um sich aus dem Palast zu stehlen, werdet Ihr ein
blütenweißes Bettlaken aus Eurem Fenster hängen!«
Er fügte spöttisch hinzu: »Werft nur eines Eurer schönen
Augen auf den Herrn, so wird Euch sein Kommen und
Gehen gewiß nicht verborgen bleiben.«
Von hinten wurde ihr der Sack über den Kopf gestülpt,
und sie fand sich wieder auf einer einsamen Stiege, die zu
den Vorratsräumen der Küche führte. Elgaine wußte, sie
hatte keine Wahl – oder sie ging ihrer Stellung bei Hofe
verlustig, und zwar in Schimpf und Schande!
Rik mußte sich daran gewöhnen, daß sein Auftraggeber
Zeitpunkt und Ort bestimmte, um ihn zu treffen. Meist
waren es die schummrigen Seitenaltäre von Kirchen, oft
auch der Beichtstuhl. Er zerbrach sich auch nicht länger
den Kopf, welcher Partei der Chevalier eigentlich
zuzurechnen sei und was ihn umtrieb, außer einer
offensichtlichen Feindseligkeit gegenüber der Amtskirche,
insbesondere ihren Auswüchsen, wozu der Monsignore
Gilbert an maßgeblicher Stelle gehörte. Beide agierten
wohl nur vorgeschoben, die Fäden zogen dunkle Mächte
im Hintergrund. Anders war der erhebliche Einsatz an
Mitteln nicht zu erklären. Diese Frage dem Chevalier zu
stellen, hütete sich Rik, wohl aber die nach der ›Moral‹,
was das Schicksal der Kinder anbetraf. Der Chevalier ging
zu seinem Erstaunen darauf ein.
»Der ecclesia catholica das Verbrechen vorzuhalten, das
Abendland von Zigtausenden verwahrloster Kinder zu
›reinigen‹, indem sie diese umherziehenden Horden durch
ihre Mittelsmänner in die Sklaverei verkauft, trifft nur die
eine Seite, denn dem Papsttum Roms stehen in diesen
Jahren Bewegungen gegenüber, die ihr Selbstverständnis,
ihren Fortbestand heftig in Frage stellen, und damit auch
den gesamten Rahmen eines christlichen Abendlandes. Im
Süden Frankreichs muß die ›Ketzerei‹, die Häresie der
Katharer blutig ausgemerzt werden, im Herzen des
Patrimoniums Petri macht Franz von Assisi der besorgten
Kurie ernsthaft zu schaffen, weil er sich weigert, seine
›freien Bruderschaften‹ der Minoriten mit Ordensregeln
versehen der ecclesia förmlich zu unterstellen, wie es der
spanische Domenikus getan. Die Aktivitäten der
Ritterorden, allen voran der Templer, sind auch eher dazu
angetan, bestehende Machtverhältnisse nachhaltig zu
verändern, als daß sie ihrer ursprünglichen Schutzfunktion
im Heiligen Land nachgehen! Das gleiche gilt für die
aufstrebenden Seerepubliken und die ›freien Städte‹
überhaupt, die den traditionellen Monarchien vermehrt
zusetzen. Unter diesem Aspekt läßt sich dem Verhalten
und der grundsätzlichen Einstellung gewisser Kreise der
Kurie, eine politische Notlage zubilligen, doch heiligt der
Zweck, vor allem der des Selbsterhalts, nicht alle Mittel,
was hier – von der Kirche gedeckt, wenn nicht befürwortet
– betrieben wird, ist weder gottgefällig noch christlich,
sondern eine abscheuliche, menschenverachtende Untat im
großen Stil!«
Damit beschloß der Chevalier seine Unterweisung, er
war dabei mehr aus sich herausgegangen, als er eigentlich
wollte.
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