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Das Kreuz der Kinder

Das Kreuz der Kinder

Titel: Das Kreuz der Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Berling
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hatten dennoch bis tief in die Nacht
gedauert, neugierige, bis verlogene Interessenbekundungen am Schicksal des anderen, rührselige, eitle
Selbstdarstellung wechselten mit wehmütiger Erinnerung
und boshaften Anekdoten, wie es der für viele inzwischen
ungewohnte Weingenuß so mit sich bringt. Die Sonne
stand am nächsten Tag schon heiß und hoch, als sich die
ersten der auf Mahdia versammelten Chronisten wieder in
die Sala al-Kutub schleppten, um – jeder für sich, alle für
den Emir – das ›opus magnum‹ zu einem guten oder
schlechten, jedenfalls zu seinem Ende zu bringen. Daß der
Käfig in der Ecke leer war, fiel niemanden auf, sie
ignorierten die Präsenz des verhaßten Luc de Comminges
längst soweit, daß keiner auf die Idee kam, noch das Tuch
zu lüften, um den Saifallah zu betrachten. Im Gegenteil,
Timdal, von dem allein die anstehende Geschichte seiner
Reise mit Pol in die Höhle des Löwen abhing, drängte
darauf, sie zu Gehör zu bringen, involvierte sie doch das
Verhalten noch lebender Personen auf Mahdia! – wie er
stolz ankündigte und was ›Armin‹ sofort durchschaute.
    »Der Mohr zielt auf offene Provokation, nicht etwa des
Emirs, sondern seines damals wie heute, hier amtierenden
Majordomus Moslah!«
    Der Einzige, den das hochschreckte, war Rik, der
Erzieher des Prinzen. Ohne den Verdacht zu zeigen, der
ihm gekommen war, schlenderte er zum Aufbewahrungsort des Vicarius und äugte hinter das über den Käfig
geworfene Tuch. Der Käfig war leer, roch aber noch
streng. Rik überlegte, daß es mit Sicherheit Kazar AlMansur war, der den Auftrag gegeben hatte, den Stinker
zu entfernen. Wohl auch, weil jetzt zunehmend Dinge zur
Sprache kommen würden, die den Emir persönlich
betrafen. Wahrscheinlich hatte der auch die gestern
liegengebliebenen Blätter entfernen lassen, die Rik – mit
schlechtem Gewissen – an diesem Morgen vermißt hatte.
Er sagte also nichts und gab Daniel ein Zeichen, mit der
Niederschrift zu beginnen, als draußen vor der Tür
Stimmen laut wurden.
    Alekos, der erst jetzt in der Bibliothek eintraf, berichtete
unaufgeregt: »Die Gefangenen sind entflohen!«
Alle hatten längst die Ulamat vergessen, die ihren
Gefährten Saifallah nach Mahdia begleitet hatten und
dafür im Kerker gelandet waren.
Dann erschien auch der Emir und winkte Rik zu sich.
»Die Flucht war gut vorbereitet«, instruierte er ärgerlich
seinen Freund, »das Abschiedsgeschenk des Moslah, der
ebenfalls verschwunden ist!«
Rik stürzte die Wendeltreppe hinauf zu der
eisenbeschlagenen Truhe im Flur, in der er das Manuskript
aufbewahrte: Das Schloß war aufgebrochen, nicht ein
Fetzen der ungezählten Pergamentrollen war zurückgeblieben! Betroffen stieg er wieder hinunter zur Sala alKutub. Der Emir wirkte keineswegs sonderlich erstaunt
über den Raub, eher enttäuscht. Doch zur Trauer war keine
Zeit. Die Saijdda Blanche rauschte heran, gefolgt von
Oliver und Elgaine. Sie vermißte ihren Bibliothekar Marius,
den Mönch. Inzwischen war Nachricht von der Torwache
des Bab Zawila eingetroffen: Der Trupp, angeführt von
Moslah, habe die Skifa vor Sonnenaufgang passiert, was
nicht den geringsten Verdacht erregt habe. Die Flüchtenden
hätten sich auch nicht landeinwärts gewandt, sondern wären
südwärts die Küste entlang davongeritten.
»Schickt Eure Kamelreiter hinterher!« schlug Rik vor,
der viel erregter war als der Emir.
»Genau das kann sich der räudige Fuchs ausrechnen«,
wehrte der ab, »also hat er sich und seine Beute längst in
Sicherheit gebracht!«
»Aber was geschieht mit unserer ›Chronik‹?!« härmte
sich Rik. »Sie ist unersetzlich!«
»Deswegen trägt der Moslah auch dafür Sorge, daß ihr
der fanatische Renegat Saifallah nichts antun kann. Sechs
berittene Bogenschützen hat er mitgenommen!«
»Und was wollt Ihr unternehmen, bevor die kostbare
Niederschrift völlig aus unserer Reichweite entschwunden
ist?!«
»Das ist sie bereits«, ließ der Emir den Besorgten
trocken wissen. »Wir müssen abwarten, bis der Entführer
Laut gibt.«
Zufriedenstellend empfand Rik diese Lösung nicht.
»Und was sollen wir, die wir hier zusammengekommen
sind, also –?«
»Weitermachen!« befahl der Emir barsch, »– als wäre
nichts geschehen!«
Er besann sich und fügte vermittelnd hinzu: »Das würde
den Triumph unserer Gegner verdoppeln, wenn wir jetzt
die Arbeit einstellten!«
Rik kehrte in den Saal der Bücher zurück und forderte
zur Verblüffung aller

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