Das Kreuz der Kinder
und
beten schon gar nicht –, aber unbedingt will er die Leiche
bergen und begraben. Melusine findet das auch richtig,
doch da hören sie Schritte von Soldaten, die sich nähern,
und die beiden verstecken sich in der schwarzen Kutsche
der Marie de Rochefort, die auf dem Platz steht.
Zwischen der undurchsichtigen Hofdame und ihrem
skrupellosen Bruder, dem Inquisitor, konnte es zu keiner
Verständigung kommen. Wütend stürzt Marie de
Rochefort, gefolgt von ihrem Pagen, dem Mohren Timdal,
aus dem Burghof zu der wartenden Kutsche. Gerade will
sie den Schlag aufreißen, da tritt aus dem Dunkel der
Chevalier de Treizeguet.
»Wieder keine kleinen Mädchen für Rochefort?!«
»Spart Euch Euren Spott, Armand!« faucht die
Angesprochene. »Sorgt lieber beim König in Paris dafür,
daß Monsignore Gilbert seine Wahnsinnsidee von einem
Kinderkreuzzug nicht wahrmacht!«
Der Chevalier lächelt. »Seit wann, Marie, wehret Ihr den
erkennbaren Strömungen der Zeit? Aufruhr der Jugend
gegen eine Welt, der wir beide angehören«, er verneigte
sich mit galanter Gebärde, »liegt in der Luft. Lieber
Aufbruch als blutig niedergeschlagene Rebellion –.«
»Ich kenne Euch nicht wieder, Armand de Treizeguet!«
Die rothaarige Hofdame mag ihre Enttäuschung nicht
verhehlen. »Als bewährter Ketzerfreund, antiklerikal bis in
die Knochen, muß Euch dies Lüftlein doch schmecken,
das dem Papst in Rom so unangenehm in die Nase zieht?«
Herausfordernd zwinkert sie dem Chevalier zu.
Dessen Lächeln gerinnt zum sarkastischen Grinsen. »Ich
furze der sancta ecclesia ins Gesicht, wo ich kann,
Blähungen habe ich immer – gerade hab ich einem groben
Kerl, der es kaum verdient, ermöglicht, den deutschen
Rhein wiederzusehen, sowie zwei tapfere Recken, jung
und naiv genug, um auf höheres Geheiß bis Jerusalem zu
marschieren, gen Paris auf Trab gebracht unter
großmütiger Überlassung eines meiner Pferde – Tropfen
auf einen glühendheißen Stein des allgemeinen Unmuts –
meines eigenen eingeschlossen!«
Marie lacht. »Die beiden Helden sind mir auch
begegnet.«
Sie greift zur Klinke. »Wär’ mir mehr Zeit vergönnt
gewesen, hätt’ ich gern geprüft, was sie in der prallen
Hose haben.«
Sie blickt dem Chevalier ohne jede Scham aufs
Gemächte, »nachdem Euer Beinkleid nur noch schlaff an
Euch herunterhängt!«
Genußvoll öffnet sie langsam den Schlag – und sieht in
die Ecke gekauert Pol und Melusine, die alles mitangehört
haben müssen. Die Hofdame verliert keineswegs die
Fassung. »Wollt Ihr mich nach Paris begleiten?« wendet
sie sich an das junge Mädchen, und Melusine sagt: »Ja,
das will ich.«
Da springt Pol, entrüstet über ihren ›Verrat‹ aus dem
Gehäuse. »Du willst nur Deinen blonden Ritter
wiederfinden!« klagt er sie an. »Das Schicksal unseres
Landes ist dir gleich!«
Er rennt davon und verschwindet im Dunkel der Nacht.
»Wenn schon nicht Frau Venus«, spöttelt der Chevalier,
»so ist Euch heute doch Fortuna hold!«
Er verneigt sich knapp und schreitet zu seinem Pferd.
Timdal schließt den Schlag hinter seiner Herrin, und die
Kutsche setzt sich in Bewegung.
In der altehrwürdigen Bibliothek des Emiratspalastes von
Mahdia entstand Unruhe. Diener meldeten Rik, dem
Murabbi al-Amir, daß die ›Sajidda Blanche‹ eingetroffen
sei, die Erste Frau des mächtigen Hafsiden. Zusammen mit
dem vorwitzigen Timdal trat Rik ans Fenster und sah
gerade noch, wie eine ganz in fließenden weißen Musselin
gewandete Dame ihrer Sänfte entstieg, umgeben von
hünenhaften Leibwächtern aus dem Sudan, zu erkennen an
ihren riesigen Krummsäbeln, und umschwirrt von einer
beachtlichen Dienerschar, die jetzt Gastgeschenke für
Kazar Al-Mansur, den Emir, herbeitrugen. ›Madame
Blanche‹ wirkte in all dem Trubel völlig unbefangen.
»Eine außerordentliche Persönlichkeit, die Sajidda
aloula«, wandte sich Rik mit fragendem Unterton an
Timdal, zu dem er mittlerweile Vertrauen gefaßt hatte.
»Davon könnt Ihr ausgehen, ya Sidi!« gab sich der Mohr
vergnügt. »Wenn jemand wie der dicke Abdal, der reichste
und übelste Sklavenhändler des Maghrebs, einer Frau die
völlig unübliche Freiheit gewährt, daß sie allein auf
Reisen gehen kann, dann verfügt sie über eine Machtfülle,
die die seine noch übersteigt!«
Madame Blanche betrat den Palast, gefolgt von Daniel,
ihrem Secretarius. An den vermochte Rik sich noch zu
erinnern, von jener Nacht auf Rochefort bis zur
anschließenden
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