Das Kreuz der Kinder
die
Abgabe der Feder an Daniel nur ein vorübergehender Akt
der Duldung sei. Riks vor mühsamer Beherrschung zum
Deckengewölbe wandernde Augen streiften den hölzernen
Aufzug. Mit einem bedrohlichen Schnaufer der Ungeduld
bahnte er Daniel, dem geplagten Mussa’ad, den Weg zum
Schreibpult, das der Mönch fast beleidigt räumte.
KAPITEL II
WIND DES AUFRUHRS
Aus den hohen Fenstern des festungsartigen Palastes sah
Rik, wie sein Emir die reisefertige Madame Blanche
hinüber zur Bibliothek geleitete. Die bemerkenswerte Frau
eines zu erheblichem Reichtum und geschickt ausgeübter
Macht gelangten Sklavenhändlers beabsichtigte nicht,
Mahdia zu verlassen, ohne sich zuvor von den Gefährten
und Leidensgenossen vergangener Tage zu verabschieden.
Sie tätschelte wohlwollend den Kopf des Prinzen, der
seinen Vater begleiten durfte. Karim wurde ansonsten von
den Gesprächen in der Bibliothek fürsorglich ferngehalten.
Rik als sein Erzieher wollte auf keinen Fall – und war sich
darin mit Kazar Al-Mansur einig –, daß der Knabe
zusammenhanglose Bruchstücke über das Leben seiner
Mutter mitbekam, sondern sein Vater hatte sich
ausbedungen, nach Sichtung und eventueller ›Säuberung‹
der Aufzeichnungen, Karim selbst mit der geliebten
Person, die der Junge nicht hatte erleben dürfen, vertraut
zu machen.
Rik warf einen Blick über das im Sonnenschein
gleißende Meer, das eintönig, gleichmütig unterhalb des
Palastes an die Mauern des Felsenriffs brandete. Mahdia
ragte wie der Bug eines schnittigen Seglers in die See
hinaus, so nahe der Insel von Sizilien, daß das Königreich
der Staufer in eines Tages Fahrt zu erreichen war – und
doch vom Abendland so meilenweit entfernt, wie ein Stern
am glitzernden Firmament.
Seine Anwesenheit in der Bibliothek war gefragt, Rik
seufzte und beschleunigte seinen Gang, um zumindest
gleichzeitig mit den Besuchern in dem tiefergelegenen
Gewölbe einzutreffen.
Kazar Al-Mansur stellte seinem Sohn die ›gelehrten
Männer‹ vor, die als seine Gäste ›Licht in die
Vergangenheit‹ brächten: den Mönch Marius, seines
Zeichens ›Verwalter der kostbaren römisch-punischen
Münzsammlung des Hafsiden zu El-Djem‹, den
›sprachkundigen Erforscher der frühen
Religionsgeschichte von Iffriqia‹, Meister Daniel, und den
›weitgereisten Entdecker fremder Welten jenseits von
Meer und Wüste‹, Timdal, genannt ›el Moro‹.
Rik mußte schmunzeln ob der kühnen Erhebung in den
Gelehrtenstand und der fürsorglichen Betitelung von
ehemaligen Gärtnern, Meßdienern und einem –
zugegebenermaßen witzigen – Leibmohren.
Karim schien auch von dem außerordentlichen Rang der
so gerühmten Wissenschaftler beeindruckt zu sein, nur
hatte er Schwierigkeiten, den äußeren Aspekt des
vertrottelten Minoriten, des verklemmten Secretarius und
des schwarzen Kobolds damit unter einen Hut zu bringen.
Er grinste zu Rik hinüber, der ihn mit hochgezogener
Augenbraue ermahnte, gefälligst ›in Würde‹ an sich zu
halten. Zudem strich Madame Blanche ihm zum
wiederholten Mal über das lockige Haar, und dann wurde
er auch schon wieder den Dienern übergeben, die ihn
zurückbrachten in die ›Gemächer des Prinzen‹.
Madame Blanche wandte sich an ihren Gastgeber: »Euer
Sohn kann stolz sein auf seine Mutter; Melou war ein
großartiges Mädchen, eine äußerst mutige junge Frau, die
sich tapfer und in Ehren schlug, dessen bin ich mir sicher,
auch wenn ich nicht jedes Geschehen an ihrer Seite
miterlebte.«
Der Emir war tief bewegt. »Aus Eurem Munde ihre Ehre
bestätigt zu hören, bedeutet mir viel, denn Ihr seid eine
ungewöhnliche Frau, die mir große Achtung abverlangt.«
Rik sah sich genötigt, der Dame seinen Dank
auszudrücken, aber auch sein Bedauern über ihre
unaufschiebbare Abreise. »Euer Zeugnis wird uns fehlen,
Madame, bei allem, was jetzt auf die Kinder Frankreichs
zukommt.«
Blanche musterte ihn mit einem feinen Lächeln. »Ihr
habt ja den wortgewaltigen Timdal – und ich laß Euch
auch meinen schriftgewandten Daniel, dafür nehme ich
unseren Minoriten mit auf meine unumgängliche
Weiterreise – als Mussa’ad, eine Rolle, in die er sich bei
euch einarbeiten konnte.«
Sie überging die wenig glückliche Miene des Mönchs,
der viel lieber in Mahdia geblieben wäre. »Denn ich habe
mich entschlossen, die mir gewährte Bewegungsfreiheit
und meine bescheidenen Mittel dafür einzusetzen, weitere,
notwendige Zeugen aufzutreiben«, sie
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