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Das Kreuz der Kinder

Das Kreuz der Kinder

Titel: Das Kreuz der Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Berling
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gemeinsamen Reise nach Styrum, dann
war der unscheinbare Meßdiener wieder aus seinem
Gesichtskreis entschwunden. Auch als Mussa’ad hatte sich
Daniel kaum verändert, eine schmächtige Erscheinung, die
gerne versonnen und weltfremd wirkte. Als besonders
sympathisch hatte Rik ihn nicht in Erinnerung.
    Zusammen mit dem Hausherrn Kazar Al-Mansur betrat
Madame die Bibliothek, ihr fast weißblondes Haar züchtig
unter dem Hijab verborgen. Ihre hellen Augen
überblickten schnell die Situation.
    Rik verneigte sich; Marius, der in ihren Diensten stand,
klappte an seinem Schreibpult fast zusammen vor
Ehrerbietung, nur Timdal krähte zum Gruß:
»Willkommen, großmächtige Königin aller Gestrandeten!
Spurlos ließ Allah die neun Jahre, die sie Euren Anblick
missen mußten, an Eurer reinen Schönheit
vorüberziehen«, deklamierte der Mohr, »– seit dem
Wunder von Bejaia!«
    Rik verstand die Anspielung nicht, Bejaia war der Name
des berüchtigtsten Sklavenmarkts an der Berberküste, aber
Madame lächelte amüsiert.
    »Auch Ihr, Timdal, habt nicht die Spur von Eurer
Keckheit eingebüßt!«
Der Emir stellte ihr Rik, den Murabbi al-Amir, den
Erzieher des Prinzen vor, bedankte sich für die Geschenke
und murmelte: »Betrachtet meinen bescheidenen Palast als
den Euren.«
Dieses Angebot der Gastfreundschaft brachte Daniel,
den Secretarius, sofort dazu, seine Herrin zu erinnern, daß
sie die Nacht doch auf ihrem nahen Landsitz von El-Djem
verbringen wollte, im Schatten des römischen
Kolosseums. Das amüsierte Madame Blanche noch mehr.
»Willst mir wohl abschnippen?!« ging sie ihren
Mussa’ad im unverblümten Pariser Argot an und
erkundigte sich bei dem erschrockenen Marius, wie weit
man im Aufzeichnen der Geschichte bisher gelangt sei.
Der Emir schaltete sich ein: »Sie treiben sich immer
noch in einem sich endlos hinziehenden Waldstück
herum«, erklärte er seinem Gast, »in dem aufsässige
Hofdamen, perfide Priester, edle und weniger edle Ritter
sich zeitverschwendend tummeln, Feinde großmütig in
ihre Kutschen laden und Freunde in die Irre schicken –.«
»Wir stehen kurz vor Paris!« unterbrach ihn Rik
ärgerlich.
»Wie allerliebst!« ließ sich die Dame vernehmen. »Dann
steht ja mein köstlicher Auftritt als kindliche Straßenhure
noch bevor!«
Daniel hob abwehrend die Hände, Timdal grinste, und
der Schreiber Marius wußte vor Verlegenheit nicht, wohin
er schauen sollte. Madame Blanche hieb munter in die
Kerbe. »Schwachsinnig muß ich gewesen sein, weil ich
mir das Gesicht des Mannes nicht einprägte, der uns später
arglistig und gemein…«, sie lachte bitter und führte den
Satz nicht zu Ende, »und blöd schon deshalb, weil ich stets
ein gutes Herz hatte und mein Pelzchen viel zu billig
verkaufte!«
Dem Emir war es höchst peinlich, fast beschwörend griff
er ein. »Ihr scherzt – gewiß!«
Aus der betroffenen Miene des Secretarius und dem
hochroten Kopf des Minoriten mußte er schließen, daß
dem nicht so war. »Ein gutes Herz…«, er suchte und fand
den rettenden Strohhalm. »Ein gutes Herz erhält seinen
vollen Preis im Paradies!«
Madame Blanche ergriff den Halm nicht, sondern hielt
sich an Rik, den sie wohl als frei von fremder Scham
ansah. »Nur zu, edler Erzieher des Prinzen! Laßt des
Minoriten heiße Ohren hören, was –.«
»Madame, ich flehe Euch an«, stotterte Daniel, »ich war
damals nicht auf den Straßen, sondern Meßdiener in der
Kathedrale –.«
»Mein Herr Mussa’ad, der Ihr heute seid, wenn Ihr
weiter nach Ausflüchten sucht, dann werde ich selber…
oder…« – sie besann sich der Würden und Ehr ihres
Ehemannes – »… oder sollten wir beide…« – sie wandte
sich an den Emir – »… vielleicht hinausgehen, damit die
Herren ungehemmt…?«
Der Emir nickte und brachte sich um den erwarteten
Genuß des mittelbaren Erlebens durch Zuhören.
Mit einem Seufzer der Erleichterung hob der Mönch
seine Nase aus dem Tintenfaß und tauchte die Feder ein,
doch hinter seinem Rücken bedeutete der Mohr dem
schreibgewandten Daniel, den Unglücklichen auf der
Stelle abzulösen. Der Mussa’ad verstand zwar weder den
Grund noch die Eile, aber wohlerzogen bot er Marius eine
Verschnaufpause an. Keiner der Anwesenden hatte damit
gerechnet, daß der Mönch sich der wohlgemeinten Offerte
verweigern würde, vehement bestand Marius plötzlich
darauf, in seinem Amt als Schreiber belassen zu werden.
Rik mußte ihm hoch und heilig versprechen, daß

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