Das Kreuz der Kinder
mundfauler Hausgenosse sei ein vierschrötiger
Kerl, den sie den ›Eisernen Hugo‹ nennen, wohl, weil er
jedes geschmiedete Stück mit seinen Pranken verbiegen
konnte. Hugo deshalb für einen tumben Kraftprotz zu
halten, wäre ein Fehler gewesen. Er sei ein tüchtiger und
bedächtiger Handwerker. Als vor gut zwanzig Jahren
Kaiser Heinrich seinen gewaltigen Kreuzzug vorbereitete,
war auch der Stadt Marseille die Stellung von zwölf
großen Transportschiffen auferlegt worden. Sie waren aus
bester provenzalischer Eiche auf Kiel gelegt worden, und
es hätten nur noch die Deckplanken eingezogen werden
müssen, als die Malaria den gefürchteten Staufer
dahinraffte. Für billiges Geld hatten Guillem und Hugo
damals die Rohlinge erworben und sie auf ihre Insel
geschleppt, in der berechtigten Hoffnung, daß alsbald ein
anderer reicher Fürst das Kreuz nehmen würde. Jedenfalls
empfanden sich die beiden seitdem als ehrbare Händler
und führten stolz den Titel eines ›ordentlichen
Kaufmanns‹, auch wenn die angestammte Gilde der
›Mercatores Marsigliae‹ nicht im Traum daran dachte, sie
in ihre Reihen aufzunehmen.
Doch die Jahre verstrichen, kein Monarch schien mehr
zur Rettung des heiligen Jerusalem sein Ritterheer übers
Meer führen zu wollen. So liegen die Bootsleiber in einer
verschwiegenen Bucht unterhalb der Festung und rotten
trotz aller pfleglichen Bemühungen von Hugo vor sich
hin. Inzwischen sind von dem ursprünglichen Dutzend nur
noch fünf soweit erhalten, daß er sie bei Bedarf zu Wasser
lassen kann. Sie wirken wie riesige, gestrandete Wale, so
wie sie zwischen den Wanten offen das Gerippe ihrer
soliden Bauweise zeigen, für deren Erhalt Hugo und sein
einziger Gehilfe die übrigen Wracks immer wieder kundig
ausschlachten.
Das schien den Herrn Inquisitor ungeheuer zu
interessieren, doch fragte er jetzt erst einmal, wo denn
dieser Hirtenknabe Stephan sein Quartier genommen habe,
er suche nämlich nach seinem Adlatus Luc de
Comminges.
»Oh!« rief der Schankknecht aus. »Ihr meint sicher den
Herrn ›Vicarius Mariae‹!?«
»Wie bitte!« blaffte der Monsignore zurück. » Wie nennt
sich dieser ungeweihte Priesterzögling!«
Der junge Schankknecht war sofort eingeschüchtert ob
dieser harschen Reaktion. »So heißen ihn jedenfalls die
›Kleinen Apostel‹ und der ›Mindere Prophet‹
höchstselbst!« schränkte er ein, was den Inquisitor aber
nicht zufriedenstellte. Er stopfte ärgerlich den letzten
Oktopus samt dem Fladenbrot in sich hinein und spülte
mit dem jungen Roten nach.
»Richtet dem Herrn Vicarius aus, daß ich ihn zu sehen
wünsche!«
Er wischte sich den Eidotter von der Soutane und ließ
sich ein Zimmer zuweisen – ohne sich im geringsten
davon beeindrucken zu lassen, daß ein Fräulein Melusine
de Cailhac alle drei Räume des Obergeschosses
angemietet und auch schon dafür bezahlt habe.
Auf Tauris wurde Pol gleich bei der Ankunft dem
stummen Faktotum übergeben, das sich der ›Eiserne
Hugo‹ mit ›Guillem dem Schwein‹ teilte. Der Bucklige
hörte auf den seltsamen Namen ›Bart Rotsturz‹, das heißt,
er hörte nicht, denn er war taubstumm. Die Übergabe
erfolgte, indem Guillem seinem neuen Sklaven einen
eisernen Hüftgürtel verpaßte und ihn an die gleiche lange
Kette anhängte, an der entlang sich schon der verwachsene
Bart geschickt wie ein Affe aus Iffriqia bewegte. Von dem
gutmütigen scheuen Wesen lernte Pol durch Gesten
schnell, was von ihnen verlangt wurde – das rasche
Entladen und säuberliche Reinigen der Barke und danach
das Sichten und Trennen der Beute, doch meistens wartete
ihr Schweineherr nicht so lange, sondern traf schon bald,
wie eine treusorgende Muttersau, mit der nächsten Fuhre
»Verpflegung« ein – Bart hatte alle Hände voll zu tun, als
Abfallsortierer, Futterknecht und Koch. Endlich hatte er
einen Gehilfen, das freute ihn. Guillem verfügte über drei
dieser schwimmenden Mülltonnen, die allesamt darin
wetteiferten, welche von ihnen als erste gänzlich absaufen
würde. Wäre es nur nach dem Gestank gegangen, den sie
verbreiteten, hätte der ›Eiserne Hugo‹ nichts dagegen
einzuwenden gehabt, doch dann hätte er seinen
›Flottenbestand‹ angreifen müssen, und den hütete er wie
seinen Augapfel.
Als Pol auch gegen Mittag noch nicht wieder aufgetaucht
war, schickte Melusine Étienne hinunter in den
Schankraum, einmal um sich zu beschweren, daß im
dritten Zimmer – wie Blanche ihr
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