Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Kreuz der Kinder

Das Kreuz der Kinder

Titel: Das Kreuz der Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Berling
Vom Netzwerk:
los. Er ist sich
sicher, daß er damit Daniel wie Irm endgültig abgehängt
hat, seine einzigen Rivalen – weniger um die Gunst des
Heilers, als um die Führung des gesamten deutschen
Kreuzzugs.
    Zu diesem Zeitpunkt näherte sich Niklas schon dem
eigentlichen Aufstieg zum Col du Mont-Cenis. Tief unter
ihnen lag in weiter Krümmung das Tal des Arc. Das
Ochsengespann, das den vierrädrigen Leiterwagen
gezogen hatte, war längst gegen Maulesel ausgetauscht
worden, das schwere Gefährt gegen einen einachsigen
Karren, doch jetzt mochten die Braunen auch den nicht
länger übers Geröll zerren. Sie wurden geschlachtet, die
beiden Räder abmontiert und ›der Heiler‹ hinfort wie in
einer Sänfte auf den Schultern der sich abwechselnden
Gardisten getragen; selbst die Wagenräder wurden
mitgeschleppt. So zog der Zug im Gänsemarsch den
schmalen Pfad zum Paß empor.
    Daniel vertrödelt derweil viel kostbare Zeit, denn der
Schneefall setzt früh ein in den Alpen. Anlaß war weniger
die Unentschlossenheit des immer noch etliche Tausende
zählenden Restes – alle anderen waren längst auf eigene
Faust hinter Ripke hergezogen –, als daß der Legatus
selbst den Mut verloren hatte. Mehr und mehr wurde der
verschneite Paß ihm zum Albtraum, und ausgerechnet er
begann sich mit der Idee anzufreunden, nun doch entlang
der Gebirgskette durch die Haute-Provence bis zur Küste
vorzustoßen, dann am Meer entlang bis Genua zu
marschieren, wo sie wieder auf die Vorausgezogenen
treffen würden.
    ›Armin‹ von Styrum, deren Nominierung zur
Stellvertreterin des Niklas weder der Obrist noch Daniel,
der Legatus, sonderlich ernstgenommen hatten, war des
Wartens schnell überdrüssig, sie wollte auch den Anschluß
an Rikpes Kolonne nicht verlieren. So sammelte sie
Randulf und Dörte um sich sowie die beiden von ihr
protegierten Judenkinder aus Worms. Wer sich sonst noch
ihrer Führung unterstellen wollte, mußte sich verpflichten,
reihum wechselnd, den Krüppel auf einer Bahre zu tragen
oder die blinde Schwester zu führen. So wie sie Ripke
nicht von ihrem Vorhaben in Kenntnis gesetzt hatte, ließ
›Armin‹ auch den Legatus nichts davon wissen, bevor sie
dann eiligst aufbrach.
    Während die Gardisten schon ihren Niklas, in Pelze
gehüllt, samt seinem zerlegten Gefährt durch den tiefen
Schnee der Paßhöhe schleppten, bemerkte der ihm
nachfolgende Ripke, daß sein Zug kein Ende nahm. Immer
neue Grüppchen tauchten aus dem Tal auf. Der Obrist
hatte die Verantwortung für die übernommen, die er selbst
ausgewählt hatte, und die war er auch bereit durch Eis und
Schnee über den Col du Mont-Cenis zu schaffen, und
wenn er sie hinauf und wieder hinunterprügeln mußte.
Doch daß sich jetzt der halbe Kreuzzug an seine Fersen
heftete, ihm – wenn auch noch unsichtbar – jammernd und
stöhnend im Nacken saß, das kam nicht in Frage.
    Er peitschte die endlose Schlange seiner Leute vorwärts.
Wer abstürzte oder vor Erschöpfung zusammenbrach,
wurde erbarmungslos liegengelassen. Breitbeinig stand
Ripke wie ein dräuender Wächter auf dem schmalen
Saumpfad, der sich in Serpentinen zum Paß
hinaufschlängelte. Der Obrist war nicht gewillt,
irgendwelchen Nachzüglern zu gestatten, das zügige
Vorankommen ›seiner‹ Truppe zu behindern. Die Spreu
mußte vom Weizen getrennt werden! Ripke war sicher
nicht zimperlich in seiner Methode. Wer ihm nicht paßte
oder zu schwach erschien, den stieß er angeblich hinunter
in die Schlucht. Zeugen dafür gibt es keine. Andere
behaupten, er habe ihnen sogar bei der Überwindung
gefährlicher Klüfte – tückische Wildbäche rissen immer
wieder Teile des Pfades in die Tiefe – helfend die Hand
gereicht.
    Tatsache ist, daß das von ›Armin‹, seiner Ex-Braut,
geführte Häuflein an den Obrist geriet, an einer Stelle, an
welcher der Pfad sich über alte schmale Steinbrücken von
Felswand zu Felswand durch eine enge Klamm
hochwindet. Ein Steinschlag erschlug die vorausgehenden
Führer der blinden Dörte, sie selbst stürzte in eine
Felsspalte. Statt ihr zu helfen, die sich in ihrer Blindheit
instinktiv festkrallt, tritt ihr Ripke auf die Finger. Des
letzten Halts beraubt, entglitt sie, von Fels zu Fels
aufschlagend in die Tiefe. Ihr verkrüppelter Bruder
Randulf muß den Vorgang ohnmächtig mit ansehen, denn
die Schlucht trennt ihn von dem Übeltäter. Seine Träger
haben die Bahre abgesetzt, er greift nach seinen Krücken
und stolpert humpelnd

Weitere Kostenlose Bücher