Das Kreuz der Kinder
Die Überlebenden schoben sich eng
zusammen, ankerten zwar nicht Bord an Bord, doch in
Rufweite, so daß Blanche zu ihrer Erleichterung zu hören
bekam, ihr Étienne zähle zu den wenigen Geretteten.
Der ›Eiserne Hugo‹ forderte Stephan auf, dem Schöpfer
zu danken für die Errettung. Die ›Erzengel‹ und die
›Kleinen Apostel‹, die um ihn geschart waren, stimmten
ein Marienlied an, das schnell von den Insassen der
anderen Schiffe aufgefangen wurde. Das Schwein weinte
vor Rührung, Blanche vor Glück, einmal weil Étienne
noch lebte, zum anderen weil Guillem sie nicht mehr
hernahm, seitdem Melusine an Bord war. Pol weinte nicht,
aber er ließ die Hand, die ihn gerettet hatte, nicht mehr los.
Von nun an nannte er sie nur noch ›Melou‹, und sie genoß
die stille Verehrung. Der Sturm hatte ihr Sehnen nach
ihrem blonden Ritter fortgeweht, er tauchte zum ersten
Mal in keinem ihrer Gedanken mehr auf. Nicht, daß Pol an
seine Stelle getreten wäre, aber sie hätte Luc de
Comminges gewiß die Augen ausgekratzt, wenn sie
erfahren hätte, daß er es war, der mit dem Ruder nach Pol
geschlagen und das Faß zertrümmert hatte. Doch das
wußte nur Alekos, der Schankknecht, und der behielt es
damals für sich.
Sie standen im schmalen Korridor, nicht weit von dem
verwaisten Aufzugsschacht, dessen Öffnung jetzt durch
eine mächtige, mit Eisenbändern beschlagene Truhe aus
Eichenholz abgedeckt war, die man über das häßliche
Loch gewuchtet hatte.
»Das ist ab jetzt der sichere Hort für jedes von euch
verfaßte Blatt Pergament!« erklärte der Emir dem mit ihm
ins Obergeschoß gestiegenen Rik. »Nur Euch, mein
Freund, vertraue ich den Zweitschlüssel an, so daß Ihr
nicht länger mit den beschriebenen Seiten unter der
Kopfrolle schlafen müßt.«
Kazar Al-Mansur versuchte, sich selbst aufzuheitern,
doch Rik machte schon den Ansatz zunichte.
»Es war sicher nicht das letzte Mal, daß wir von
Saifallah gehört haben werden!«
»Fragt sich nur, wen er uns auf den Hals schicken wird –
.«
»Einen Mann–«, Rik hatte die Antwort auf die Frage, die
keine war, schon auf der Zunge, »in unseren Mauern hat er
schon gefunden –.«
Er ließ den Hausherrn nur kurz schmoren. »Ich wette,
der Moslah hat den fanatisierten Ulama auf den Plan
gerufen!«
Kazar Al-Mansur zeigte sich nicht erschüttert. »Stellt
sich dennoch die Frage, wer hier wessen Mann ist?«
»Vermögt Ihr denn nicht –.«, ereiferte sich Rik, »diesen
zwielichtigen Baouab zu entlassen, meinetwegen mit
reichem Bakshish in den Ruhestand zu schicken?«
»Jetzt nicht mehr«, entgegnete ihm der Emir. »Das wäre
ein Stich ins Hornissennest! Außerdem macht sich der
Moslah nichts aus irdischem Reichtum, er lebt völlig
bedürfnislos –.«
»Oder er betrügt Euch so geschickt, daß er insgeheim
ungeheure Schätze aufgehäuft –.«
»Deutscher Träumer!« spottete Kazar leicht verärgert.
»Was soll er damit? Kinder? Hat er keine! –.«
Er wurde dann doch nachdenklich, wobei seine Miene
sich zusehends verfinsterte. »Nein, Macht allein, die
Macht der Intrige könnte sein Ansporn sein –.«
Widerwillig spann er den Faden weiter. »Wahrscheinlich
überwacht er mein Tun als Spion in den Diensten des
Sultans von Marrakesch! Angesetzt auf mich von den
ebenso erzkonservativen wie militanten Almohaden –?
Das würde auch die Verbindung mit dem
Gelehrtenklüngel von Kairouan erklären, dem ihr und die
Chronik ein Dorn im Auge seid!«
Rik erkannte die weitreichende Problematik nicht, der
sich der Emir stellen mußte, ihm ging es vordergründig
um die Überführung des Moslah als Täter. »Deswegen hat
er auch den Haqawati und den dicken Mustafa
ausgeschaltet, wohl weil die Brüder sich weigerten, für ihn
zu arbeiten!?«
»Mag sein!« räumte Kazar Al-Mansur ein. »Vor dem
langen Arm dieser Fanatiker muß auf der Hut sein, wer
immer in Mahdia die weltliche Macht ausübt –.«
»Aber wenn der Molch nun–« – Rik hatte einen
plötzlichen Geistesblitz – »statt dessen für Kairo
spioniert!?«
Der Emir lachte auf. »Rik, dir bekommt die Einsamkeit
nicht!« spottete er hemmungslos, »– die hier auf dem Kap
von Iffriqia zwangsläufig herrscht.«
Kazar lag es fern, den Freund zu verlachen. »Ich werde
den Hafsiden bitten, dich das nächste Mal mit nach Tunis
zu nehmen, dir die Freudenhäuser der Stadt –.«
Rik entrüstete sich nicht, unterbrach ihn aber mit
säuerlicher Stimme: »Was Ihr, Kazar, Euch an
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