Das Kreuz der Kinder
des
Trägers antwortete:
»Ihr habt den Schlüssel.«
Rik schaute auf und sah unter kurzgeschnittenem
rötlichen Haar in das Antlitz der Marie de Rochefort.
Rik mußte auf Anweisung der Hofdame der Königin von
Frankreich noch am gleichen Tag die Herberge wechseln
und wurde von zwei Sergeanten des Templerordens in
deren streng bewachtes Haus geführt, wo er die Nacht wie
ein Gefangener verbrachte, frühmorgens zu den Laudes
geweckt und bis zur Porta Salaria eskortiert wurde. Dort
stieß er wieder auf Marie de Rochefort, die in ihrer
Kutsche bereits auf ihn wartete. Sie wußte anscheinend
Weg und Ziel, so ritt er schweigend neben ihr her. Von
den früheren Avancen der Rothaarigen war nichts mehr zu
spüren, Rik hatte das Gefühl, für sie nur ein Stein in einem
Spiel zu sein, das er nicht überschaute. Er war längst nicht
mehr Objekt ihrer Begierde, sondern nur noch ›Schlüssel‹,
zeitweiliger Bewahrer des ›Ringes‹, dessen Besitz ihm
immer belastender dünkte – denn daß der güldene Reif
ihm noch Gutes bringen würde, war nicht zu erwarten. Er
wäre ihn gern losgeworden, aber irgendetwas sträubte sich
in ihm, das teure Stück einfach wegzuwerfen. Er sollte ihn
der Frau übergeben, die ihm sein Freund Oliver ans Herz
gelegt hatte, aber vielmehr fühlte sich Rik dem alten
Mu’allim Murad aus Palermo verpflichtet, der in seinen
Armen auf den Höhen des Septimerpasses verstorben war.
Sie zogen die Salaria entlang, zweigten dann ab, in
Serpentinen hoch auf den Monte Sacro, wo das kleine
Kloster liegen sollte, das die Dame zu besuchen wünschte.
Weswegen sie dafür der Begleitung Riks bedurfte, war
diesem unklar. Ihre eigene Dienerschaft samt
Pferdeknechten bot ihr weit mehr Schutz gegen Überfälle,
als er hätte gewähren können.
Sie bogen in eine zypressenbestandene Allee ein, an
deren Ende unter Bäumen die Mauern des Konvents sich
erhoben. An der Klosterpforte hieß Marie de Rochefort
ihren Beschützer warten, genauso wie die übrige
Begleitmannschaft. Sie hatte nicht einmal ein Wort des
Dankes, als sie ihrer Kutsche entstieg und ins Innere des
Klosters verschwand. Rik van de Bovenkamp fühlte sich
zum Narren gehalten, aber immerhin hatte er den Ring,
den sie als ›Schlüssel‹ bezeichnet hatte – und dessen ja
wohl die Person, zu der er sie geführt hatte, dringend
bedurfte. Er tastete unter seinem Wams nach dem harten
Gegenstand, den er an einer kräftigen Lederschnur um den
Hals trug, und fühlte ihn beruhigend auf seiner bloßen
Haut. Von der Schwester Pförtnerin erfuhr er, daß die
Äbtissin dieses Konvents okzitanischer Schwestern zur
Zeit außer Landes, im Languedoc, weile, doch als er von
ihr zu erfragen versuchte, wem der Besuch von Madame
de Rochefort gelten könne, zeigte sich die Alte sofort
verschlossen. Rik glaubte den Grund zu erkennen, denn
sicher waren die jungen Mädchen, die er durch das offene
Tor im Hof umherhuschen und tollen sah, aus dem
ketzerischen Languedoc und als Nonnen im Machtzentrum
der ecclesia catholica nicht sonderlich wohl gelitten –
wahrscheinlich sollten sie hier wieder zum wahren
Glauben erzogen werden…
Ihm kam Melusine in den Sinn. Wäre sie damals in Paris
der Marie de Rochefort nicht entlaufen, hätte er sie
wahrscheinlich hier wiederfinden können – Wo mochte
das wilde Kind jetzt weilen? Gedachte Melusine wohl
noch seiner – oder hatte sie ihn längst vergessen?
Die Schwester Pförtnerin riß ihn aus seinem Grübeln: Er
werde jetzt erwartet! Sie führte Rik über den Hof in die
Räume der Mater Superior.
Hinter dem schweren Tisch aus Eichenholz im
hochlehnigen Stuhl der Äbtissin saß Elgaine d’Hautpoul
und warf Rik zur Begrüßung lediglich einen spöttischen
Blick zu, bevor sie sich wieder ihrer Besucherin zuwandte.
»Wir sind uns einig, Marie de Rochefort«, sprach sie
gelassen, »ob es nun Seiner Heiligkeit Innozenz als
formalen Vormund des Königs paßt oder nicht, Friedrich
wird sich zum vereinbarten Zeitpunkt an jenem Ort mit
Eurem Kronprinzen treffen –.«
›Vaucouleurs!‹ schoß es Rik in den Sinn, doch er biß
sich auf die Zunge – gefragt war er ja nicht.
»Und Ihr, Elgaine d’Hautpoul, bürgt meiner Herrschaft
dafür, daß der Staufer –.«
»Es liegt in seinem ureigenen Interesse, daß diese
Allianz geschmiedet wird, und zwar zu einem Eisen–«
»– das seine wie unsere Feinde mit scharfem Schnitt–«
»Nicht tötet«, wies Elgaine der engagierten Vertreterin
des
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